Das Tal Bd. 7 - Die Jagd
Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder ich laufe der Gefahr davon. Oder ich gehe ihr entgegen. Beides macht nicht wirklich Laune, aber obwohl mein Fluchtinstinkt normalerweise bestens funktioniert, tue ich jetzt das Gegenteil. Ich renne die Stufen hoch, bis die Treppe die nächste Biegung macht und noch weiter nach oben, glaube sogar, ein Geräusch zu hören, aber wenn es wirklich vorhanden ist, so geht es jetzt im Keuchen meines Atems unter. Mir platzt gleich der Kopf vor Anstrengung.
Katie würde das nicht passieren, schießt mir durch den Kopf. Was die Kondition betrifft, stehe ich am Ende der Hackordnung. Okay, da ist noch Debbie.
Ich verharre.
Nichts ist zu sehen. Niemand ist zu sehen.
Ich drehe mich wieder um und laufe den Weg zurück. Denn irgendwann muss diese verfluchte Treppe doch enden und es ist leichter, nach unten zu steigen, als den ganzen Weg zurück nach oben.
Nur bin ich diesmal vorsichtiger. Ich achte weiter auf Geräusche, und wenn ich auch nur den geringsten Schatten die Wände entlanghuschen sehe, schieße ich herum, renne die Stufen nach oben, bis mein Atem klingt, als würde jemand in meinem Brustkorb an den Rippen herumsägen. Dann gebe ich wieder auf und kehre um.
Dieses Scheißspiel macht mich echt fertig. Und auch, dass die Stufen offenbar nie enden werden. Der Gedanke, dass es keinen Anfang, kein Ende dieser Treppe gibt. Dass ich nie ankommen werde. Und jemand mich immer weiter in die Tiefe jagt, in der Absicht, mich zu Tode zu hetzen.
Nein.
Ich habe meine Waffe immer dabei. Es ist meine Kamera. Sie belügt mich nicht. Ich ziehe sie aus dem Rucksack, von dem ich gar nicht wusste, dass ich ihn auf den Schultern trage, befestige sie an einer der Seitentaschen, und ohne noch einen Blick zurückzuwerfen, setze ich den Weg nach unten fort. Ich beginne wieder, die Stufen zu zählen, und als ich bei hundert angelangt bin, bleibe ich stehen und löse die Kamera vom Riemen. Während ich zurückspule, zittern meine Hände, ich muss aufpassen, dass sie mir nicht aus den Fingern rutscht. Zunächst sehe ich nur verzerrte Stufen, schiefe Wände, meine Schuhe, ein Stück meiner Jacke, schließlich flattert ein Riemen des Rucksacks durchs Bild.
Nichts Ungewöhnliches.
Die Aufnahme nähert sich dem Ende.
Und … ich will schon ausschalten, da löst sich etwas aus dem Nichts, huscht die Wand entlang … wie ein Stück schwarzer Stoff bleibt er oder es kleben, rutscht nach unten und dann baut er sich über mir auf.
Der Name ist mir sofort auf der Zunge: Der Schattenmann. Er war aus meinem Gedächtnis verschwunden, dabei bin ich ihm schon einmal begegnet und wieder entkommen, damals in den drei Tagen, als Ronnies mushrooms, die goldenen Pilze, wie David sie nennt, mich weg von allem trieben, mein Bewusstsein zerstörten und meinen Körper vergifteten.
Und wie damals fange ich an zu rennen, stürme die Treppe immer weiter nach unten, immer tiefer. Wie damals treibt die Panik mich voran, immer größer wird meine Furcht, im Wahnsinn anzukommen, doch kurz bevor ich beginne zu schreien und um mich zu schlagen, als könnte ich ihn so besiegen, den Schatten … vielleicht, Benjamin, vielleicht … ist es dein eigener Schatten, dem du davonläufst, … jedenfalls enden sie im letzten Moment, die endlosen Stufen.
Und vor mir erstreckt sich ein langer Flur und ganz hinten … das Bild setzt sich nur langsam in meinem Kopf zusammen und nach und nach beruhige ich mich … führt der Gang mich direkt zu einer Tür, durch deren große Fensterscheibe ich Menschen erkenne.
Ich knalle die schwere Flügeltür hinter mir ins Schloss, dass ich echt Angst habe, die Glasscheibe springt aus dem Rahmen. Aber offenbar stört der Lärm keinen, denn kaum jemand hebt den Blick und wenn, dann nur, um ihn sofort wieder abzuwenden.
Ich bin in einer großen Halle gelandet, eine altmodische Treppe schwingt sich zu einer Empore in die Höhe, kleine Grüppchen von jungen Menschen, wie für eine Mottoparty gekleidet, stecken ihre Köpfe zusammen. Ziemlich angespannt die Atmosphäre, registriere ich, während ich gleichzeitig den Raum und die Leute scanne. Eine Mischung aus Irritation und Déjà-vu macht sich in mir breit. Mir kommt es vor, als sei ich schon einmal hier gewesen, obwohl mir im ersten Moment nichts, aber auch gar nichts vertraut erscheint. Und weil ich immer noch den Schatten in meinem Rücken spüre, bewege ich mich von der Tür weg und mische mich unter die Menge.
Keine Ahnung, ob sie mich überhaupt sehen
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