Das Tal Bd. 7 - Die Jagd
Kopf. Ja, der Mann erinnert mich definitiv an David. Kein Wunder. Er ist schließlich Davids Großvater. Und Dean des Solomon Colleges. Er steht hier, ungeachtet der Tatsache, dass er längst tot sein müsste. Nur wenige Meter von mir entfernt. Ich könnte ihn anfassen. Wie ich das Mädchen anfassen kann.
»Spinnst du?«, ruft sie und schlägt meine Hand weg. »Die Zeiten sind vorbei, in denen Frauen Freiwild von euch Machos sind.«
»Ich bin schwul«, sage ich automatisch. »Keine Angst.«
»Oh. Entschuldige. Das sieht man dir gar nicht an.«
Absurd. Wie absurd ist das denn? Aber ich habe keine Zeit, darüber nachzudenken. Mein Trip kann jederzeit enden. Und es kann nur ein Trip sein, auch wenn es sich wieder völlig anders anfühlt.
»Und der andere dort drüben?«, frage ich schnell. »Wer ist das?«
Sie zieht an der Zigarette, von der nur noch der Filter übrig ist.
»Das ist Nanuk.«
»Nanuk Cree?«
Sie nickt und wieder treten Tränen in ihre Augen. »Die Suchmannschaft war vier Tage dort draußen. Aber sie haben keine Spur von ihnen entdeckt. Bishop …«
»Professor Bishop?«
»Ja, er ist immer noch da draußen, zusammen mit Brandon, seinem Assistenten. Es heißt, Bishop weigert sich zurückzukehren, bis sie wissen, was genau passiert ist. Die Einzige, die sie gefunden haben, ist Grace.«
Das darf ich nicht vergessen. Ich muss es Chris erzählen. Es wird ihn beruhigen. Sein Dad war nicht der verantwortungslose Säufer, den er uns beschrieben hat. Während mein Dad mich all die Jahre angelogen hat.
Nein, daran nicht denken. Es würde bedeuten, dass mein Verstand zurückkommt. Die Wirkung des Joints nachlässt. Ich kann noch nicht weg hier.
»Aber was die Suchmannschaft erzählt …«
Die Stimme des Mädchens. Sie kommt nur langsam zurück.
»Wie heißt du«, frage ich. »Bitte sag mir sofort, wie du heißt.«
»Jennifer. Jennifer Hill.«
Mir wird schlecht. Und sie, Jennifer, reagiert. Sie wirft den noch glühenden Rest der Zigarette auf den Steinboden … den ich wiedererkenne. Ich weiß jetzt, wo ich bin. Es sind dieselben Platten wie in der Empfangshalle des Grace.
» Grace?« Ich spreche den Namen nur beiläufig aus, aber Jennifer reagiert total strange.
»Bist du auch auf sie hereingefallen? Diese Schlampe«, zischt sie wütend. »Sie war eine Hydra. Er war in mich verliebt, verstehst du? Wir haben uns geliebt und dann kommt sie, und nur, weil er mir gehörte, hat sie Milton einfach stehen lassen und Paul den Kopf verdreht. Sie hat allen Männern den Kopf verdreht. Ich bin froh, dass ich sie ein für alle Mal los bin.«
Sie schlägt die Hände vors Gesicht und jetzt sind es nicht nur Tränen, die in ihren Augen stehen. Das verzweifelte Schluchzen, in das sie ausbricht, hat zur Folge, dass sich alle nach uns umdrehen.
»Es tut mir leid«, aus dem Weinen wird ein jämmerliches Wimmern. »Ich sollte so nicht reden. Sie ist tot, ich weiß und …«
»Und?« Glühende Asche fällt auf meine Hand und brennt ein Loch in die Haut. Ich nehme einen letzten Zug.
»Was passiert hier?«, schreit Jennifer. »Was geht hier oben vor?«
Obwohl es mir eiskalt den Rücken hinunterläuft und ich mich frage, ob es nicht besser wäre, abzubrechen, einfach zu fliehen, wiederhole ich meine Frage.
»Und?«
»Ich habe immer geglaubt, die Mythologie ist nur eine Sammlung verrückter Geschichten …«, entgegnet sie flüsternd. »Jeder Mensch, der nur einen Rest von Verstand besitzt, glaubt doch so etwas nicht, oder?«
Mich darf sie nicht fragen. Mein Verstand entzieht sich jeder Kontrolle. Gerade jetzt.
»Ich bin nicht Medusa. Das wollte ich nicht. Ja, ich habe sie gehasst, aber …«
»Aber?«
»Dass sie zu Stein wurde, das ist doch nicht meine Schuld, oder? Aber alle sagen es. Alle, die dabei waren, als sie gefunden wurde, behaupten, die Leiche von Grace sei zu Stein geworden.«
Ich blicke mich verzweifelt um, versuche, Halt zu finden in all dem Chaos. Über den Raum hinweg treffen meine Augen die von Nanuk. Und in ihnen spiegelt sich der misstrauische und zugleich kluge Blick von Ana Cree, seiner Enkelin. Und ich sehe, dass er es weiß. Er weiß, dass ich nicht hierhergehöre.
Welcome
H erzlich willkommen Debbie.
Debbie?
Konnte der Computer sie sehen? Hatte er sie identifiziert? Oder wie hatte er erkannt, wer vor dem Bildschirm saß?
Debbie ertappte sich tatsächlich, wie sie laut fragte: »Wer bist du?«
Natürlich blieb die Antwort aus, obwohl sie so viele Fragen hatte, dass ihr der Kopf
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