Das Tal Bd. 7 - Die Jagd
aufziehe. Dann greife ich in das Fach, meine Hand umschließt die Kamera fest, damit sie mir nicht aus den Fingern rutscht.
Ich schalte sie blind ein, und als das Display aufleuchtet, kann ich im ersten Moment nichts erkennen. Mein rechtes Auge tränt weiter und ich fürchte echt, das Sandkorn steckt so tief, dass es Löcher in meine Netzhaut reißt. Es dauert, bis ich etwas erkennen kann.
Ich bin verblüfft.
Ich habe damit gerechnet, wieder im Jahr 1974 gelandet zu sein. Aber die Kamera zeigt ein anderes Datum.
10. September 2010.
Nur wenige Monate, nachdem wir an das College gekommen sind. Was hat das jetzt wieder zu bedeuten?
Und warum stecke ich hier in diesem Rattenloch fest?
Langsam bin ich bereit, an die Existenz des Schattenmanns zu glauben, vielleicht weil es die leichteste aller Erklärungen ist und weil es sich besser anfühlt, jemanden verantwortlich zu machen. Ich weiß rein gar nichts über ihn, aber er hat mich in der Hand, verfluchte Scheiße.
Das Licht vor mir wird heller, die Öffnung ist größer, als ich vermutet habe. Sie ist nur noch eine Armlänge von mir entfernt. Ein lautes Geräusch ertönt, als ob etwas zu Boden gefallen ist. Es hallt lange nach. Ich erstarre, mein Keuchen ist so laut, dass ich mir die Hand vor den Mund presse. Oh Gott. Ich warte, bis sich mein Herzschlag normalisiert hat. Wieder krieche ich weiter und trotz der Kälte schwitze ich. Jetzt ist der Moment da. Ich muss nur den Kopf durch die Öffnung stecken, die durch Balken abgesichert ist, von denen einer geborsten ist. Sie ist breit genug, um durchzukriechen. Vorwärts – ein Zurück wird es dann nicht geben. Aber okay – ich ziehe das hier durch, weil ich es endlich wissen will und … ja, auch das schießt mir durch den Kopf, weil meine Freunde es von mir erwarten.
Bevor ich es mir anders überlege, stemme ich mich nach vorn. Der raue Stein kratzt an meinen Händen wie Schleifpapier und die Kälte dringt durch meine Kleider. Doch das Loch weitet sich und dann rutsche ich auf der anderen Seite die Wand hinunter.
Herzlich willkommen im Wahnsinn, Benjamin.
Erst jetzt erkenne ich das ganze Ausmaß der Höhle. Oder nein, das ist keine Höhle. Der Raum hat die Form eines Kreises und die Beleuchtung ist total abgefahren. Bläulich schimmernde Lichtreflexe erhellen immer wieder die Dunkelheit.
Magic.
Als könnte ich sehen, wie sich die Luft um mich herum bewegt, in Schwingung gerät, in sanften Wellen nach oben steigt. Ich sehe ihr nach.
Über mir wölbt sich eine riesige Kuppel, durch die das Licht in den Raum fällt. Es ist angenehm, es blendet mich nicht. Ich könnte ewig so stehen und es anschauen.
Jedenfalls verstehe ich jetzt, wo ich gelandet bin. In der Kathedrale. Katie hat diesen Raum so getauft. Und die Lichtquelle ist nichts anderes als das Wasser des Spiegelsees, das durch die Glaskuppel schimmert.
Endlich lasse ich den Kopf sinken. Ziemlich feucht hier unten. Rote Wassertropfen rinnen die Wand direkt neben mir herunter. Nein … das ist kein Wasser, das ist etwas anderes. Ich fahre mit dem Zeigefinger über die Wand. Die Flüssigkeit ist zäh, vergleichbar mit der, die aus Bäumen rinnt, wenn man sagt, der Baum blutet.
Du wolltest wissen, was auf der anderen Seite ist. Okay, jetzt weißt du es.
Als ich versuche, mich aufzurichten, krache ich mit dem Kopf gegen einen Vorsprung. Ich taumele zurück vor Schmerz und vor Schreck, denn die Kamera rutscht mir aus den Händen. Im letzten Moment bekomme ich sie noch zu fassen, bevor sie auf den Felsboden knallt.
Vorsichtiger geworden, überprüfe ich meine Lage. Ich stehe in einer Art Nische, die in die Wand eingelassen ist. Überall an den kreisrunden Wänden erkenne ich diese großen Öffnungen in den Felsen.
Ich bin sicher nicht zufällig hier. Denn mal angenommen, Robert hat recht und ich bin ein Schlüssel, ein Medium, dann muss ich davon ausgehen, dass ich mich nicht verirrt habe. Dieser Ort. Diese Zeit. Beide müssen etwas mit mir zu tun haben. Was durchaus sein kann, denn schließlich haben die anderen erzählt, dass sie meine Jacke hier im Labyrinth gefunden haben, nachdem ich die Pilze genommen hatte.
Ich reibe mir die Augen, versuche, das verfluchte Sandkorn herauszuwischen, und irgendwann gelingt es mir tatsächlich. Jetzt beginne ich konzentriert und ganz gezielt, die Umgebung zu scannen, während ich mich anstrenge, andere Geräusche außer dem tropfenden Wasser wahrzunehmen. Ich komme mir vor wie ein Tier, das in seinem Versteck sitzt und
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