Das Tal der Angst
finden …‹«
»Das ist nicht möglich«, sagte der Inspektor; »das habe ich schon überprüft.«
»Tz, tz, mein sehr geehrter Herr! Tun Sie doch bitte, was ich Ihnen sage.«
»Na schön, fahren Sie fort.«
»› …in der Annahme, dort vielleicht etwas zu finden, das unsere Untersuchungen vorantreiben könnte. Ich habe bereits Anordnungen getroffen, und die Arbeiter werden morgen früh zur Stelle sein, den Bach abzuleiten …‹«
»Unmöglich!«
»› … den Bach abzuleiten, weshalb ich es für das Beste hielt, Sie über diese Angelegenheit zuvor in Kenntnis zu setzen.‹
Nun unterzeichnen Sie das und schicken es gegen vier Uhr per Boten ab. Zu diesem Zeitpunkt treffen wir uns wieder in diesem Raum. Bis dahin kann jeder tun, was ihm gefällt, denn ich darf Ihnen versichern, daß diese Untersuchung definitiv in ein Ruhestadium getreten ist.«
Der Abend brach herein, als wir uns wieder versammelten. Holmes wirkte sehr ernst, ich selbst war neugierig, und die Kriminalbeamten offensichtlich kritisch und verärgert.
»So, Gentlemen«, sagte mein Freund eindringlich, »ich bitte Sie nun, alles mit mir zu überprüfen; dann können Sie selbst beurteilen, ob meine Beobachtungen die Schlußfolgerungen, zu denen ich gelangt bin, rechtfertigen. Der Abend ist kühl, und ich weiß nicht, wie lange unser Ausflug dauern wird, daher bitte ich Sie, Ihre wärmsten Mäntel anzuziehen. Es ist vor allen Dingen wichtig, daß wir an Ort und Stelle sind, bevor es dunkel wird, deshalb wollen wir, mit Ihrer Erlaubnis, sofort aufbrechen.«
Wir schritten an der äußeren Parkbegrenzung des Manor House entlang, bis wir an eine Stelle gelangten, wo der Zaun, der das Gelände einfriedete, eine Lücke aufwies. Dort schlüpften wir hindurch und hielten uns dann in der hereinbrechenden Dunkelheit hinter Holmes, bis wir ein Gebüsch erreicht hatten, das dem Haupteingang und der Zugbrücke beinahe gegenüberlag. Letztere war nicht hochgezogen. Holmes ging hinter einem Lorbeerstrauch in Deckung, und wir drei folgten seinem Beispiel.
»Schön, und was sollen wir jetzt tun?« fragte MacDonald etwas mürrisch.
»Unsere Seelen in Geduld fassen 22 und so wenig Lärm wie möglich machen«, erwiderte Holmes.
»Wozu hocken wir hier überhaupt? Ich finde, Sie könnten ruhig etwas offener zu uns sein.«
Holmes lachte.
»Watson behauptet, ich sei ein Dramatiker des wirklichen Lebens«, sagte er. »Es macht sich in mir etwas Künstlerisches bemerkbar und verlangt beharrlich nach einer guten Inszenierung. Unser Beruf, Mr. Mac, wäre doch sicherlich farblos und schäbig, wenn wir nicht manchmal die Szene entsprechend herrichteten, um unseren Erfolgen den richtigen Glanz zu verleihen. Die plumpe Anklage, das rohe Schulterpatschen bei der Verhaftung – was soll man mit solch einem
dénouement
anfangen? Hingegen schnelles Folgern, subtile Fallen, kluge Vorhersagen kommender Ereignisse, die triumphale Bestätigung kühner Theorien – ist das nicht der Stolz und die Rechtfertigung unserer Lebensarbeit? I m Augenblick sind Sie vom Zauber der Situation und von der Erwartung des Jägers ganz durchschauert. Wo bliebe dieser Schauer, wenn ich Angaben von der Eindeutigkeit eines Kursbuchs gemacht hätte? Ich bitte doch nur um ein wenig Geduld, Mr. Mac, und alles wird Ihnen klar werden.«
»Tja, ich hoffe, der Stolz und die Rechtfertigung und all das stellen sich ein, bevor wir uns zu Tode erkälten«, sagte der Detektiv aus London in komischer Resignation.
Wir alle hatten guten Grund, uns dieser Hoffnung anzuschließen, denn unsere Wache zog sich bitterlich in die Länge. Über der langgestreckten, düsteren Fassade des alten Hauses verfinsterten sich allmählich die Schatten. Ein kalter, feuchter Dunst vom Graben her ließ uns bis auf die Knochen frösteln und machte die Zähne klappern. Den Eingang beleuchtete eine einsame Lampe, und im verhängnisvollen Arbeitszimmer schimmerte ein ruhiges Lichtrund. Ansonsten war alles dunkel und still.
»Wie lange soll das noch dauern?« fragte der Inspektor plötzlich. »Und worauf warten wir eigentlich?«
»Ich weiß ebensowenig wie Sie, wie lange es noch dauert«, erwiderte Holmes etwas schroff. »Wenn die Verbrecher ihre Züge in einen Fahrplan eintrügen wie Eisenbahnen, wäre das für uns alle sicherlich bequemer. Und worauf wir … Na also,
darauf
haben wir gewartet.«
Während er sprach, wurde im Arbeitszimmer das helle gelbe Licht von jemandem verdunkelt, der davor auf und ab schritt. Der
Weitere Kostenlose Bücher