Das Tal der Angst
kein Anblick für eine Frau. Ich verspreche, bald zu ihr zu kommen. Dann hab ich ein oder zwei Worte zu Barker gesagt – er hat alles mit einem Blick begriffen –, und wir warten noch darauf, daß die übrigen auftauchen. Aber nichts rührt sich. Da geht uns auf, daß sie vielleicht gar nichts gehört haben und daß nur wir wissen, was geschehen ist.
Das war der Augenblick, wo mir die Idee gekommen ist. Sie war glänzend, sie hat mich völlig umgehauen. Der Ärmel des Mannes war nach oben gerutscht, und auf dem Unterarm da war das Brandzeichen der Loge. Sehen Sie, hier.«
Der Mann, der uns als Douglas bekannt war, streifte seinen Jackenärmel hoch und entblößte ein braunes Dreieck in einem Kreis – genau wie das, welches wir bei dem Toten gesehen hatten.
»Das war es, was mich darauf gebracht hat. Mit einemmal sah ich alles ganz klar vor mir. Seine Größe, Haarfarbe und Figur – fast gleich wie meine. Aufsein Gesicht konnte freilich keiner mehr einen Eid ablegen, armer Teufel! Ich hab ihm diese Kleidergarnitur runtergerissen, und nach einer Viertelstunde hatten Barker und ich ihm meinem Schlafrock angezogen, und er lag so da, wie Sie ihn gefunden haben. Seine ganzen Sachen haben wir zu einem Bündel verschnürt, und ich hab es mit dem einzigen Gewicht, das ich auftreiben konnte, beschwert und aus dem Fenster geschmissen. Die Karte, die er auf meine Leiche legen wollte, lag nun neben seiner eigenen. Dann wurden meine Ringe an seinen Finger gesteckt, aber als mein Ehering an der Reihe war« – er streckte seine kräftige Hand aus –, »da ging’s bei mir nicht weiter, wie Sie selbst sehen können. Ich habe ihn seit meinem Hochzeitstag nicht mehr entfernt, und es hätte eine Feile gebraucht, ihn wegzubekommen. Ich weiß sowieso nicht, ob ich Lust gehabt hätte, mich von ihm zu trennen; aber selbst wenn ich es gewollt hätte, es ging nicht. So mußten wir halt dies Detail sich selbst überlassen. Andererseits habe ich ein Stück Pflaster geholt und es dort befestigt, wo im Moment bei mir selber eines klebt. Da ist Ihnen was durchgerutscht, Mr. Holmes, so schlau Sie sonst sind; denn wenn Sie zufällig das Pflaster weggenommen hätten, wäre darunter kein Schnitt zu sehen gewesen.
Tja, das war also die Lage. Wenn es mir gelang, eine Weile unterzutauchen und dann an einen Ort zu entkommen, wo ich mit meiner Frau zusammentreffen könnte, hätten wir endlich eine Chance, den Rest unseres Lebens in Frieden zu verbringen. Diese Teufel würden keine Ruhe geben, solange ich noch am Leben war; aber wenn sie in den Zeitungen lasen, daß Baldwin seinen Mann erwischt hatte, wären all meine Scherereien zu Ende. Viel Zeit, Barker und meiner Frau die Geschichte zu erklären, hatte ich nicht; aber sie haben genug begriffen, um mir helfen zu können. Ich wußte alles über diesen Schlupfwinkel, Ames ebenso, aber ihn mit der Sache in Zusammenhang zu bringen, auf die Idee ist er gar nie gekommen. Ich habe mich also dorthin zurückgezogen, und es lag nun bei Barker, den Rest zu besorgen.
Ich schätze, Sie können sich selbst zusammenreimen, was er getan hat. Er hat das Fenster geöffnet und die Spur auf dem Sims angebracht, als Hinweis darauf, wie der Mörder entflohen sei. Das war wohl etwas dick aufgetragen; aber da die Brücke oben war, gab es keine andere Möglichkeit. Als dann alles hergerichtet war, hat er wie ein Wilder geläutet. Was danach geschehen ist, wissen Sie-und jetzt, Gentlemen, tun Sie, was Sie für richtig halten; aber ich habe Ihnen nur die Wahrheit, die volle Wahrheit erzählt, so wahr mir Gott helfe! Für mich heißt jetzt die Frage: Wie stehe ich vor den englischen Gesetzen da?«
Es folgte Schweigen, dem Sherlock Holmes schließlich ein Ende machte.
»Die englischen Gesetze sind im großen und ganzen gerechte Gesetze. Sie haben nichts Schlimmeres zu erwarten, als Sie nach deren Maßgabe verdienen. Aber meine Frage an Sie wäre: Woher wußte der Mann, daß Sie hier wohnen und wie er ins Haus gelangen und wo er sich verstecken konnte, um Sie zu erwischen?«
»Ich habe keine Ahnung.«
Holmes’ Gesicht war sehr bleich und ernst.
»Ich fürchte, die Geschichte ist noch nicht zu Ende«, sagte er. »Möglicherweise droht Ihnen Schlimmeres als die englischen Gesetze – Schlimmeres sogar noch als Ihre amerikanischen Feinde. Ich sehe Unannehmlichkeiten auf Sie zukommen, Mr. Douglas. Sie sollten meinem Rat folgen und weiterhin auf der Hut sein.«
Und nun, meine geduldigen Leser, bitte ich Sie, sich mit
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