Das Tal der Wiesel
Durch Wunders Anblick war seine Traurigkeit und sein Zorn wieder an die Oberfläche gekommen, sein bösartiger Haß auf Gru wieder entfacht worden.
Er wußte nun, was er zu tun hatte.
Und er mußte es allein tun, es war eine Möglichkeit der Buße, ein Tribut an die Umgekommenen, die Abtragung seiner Schuld. Von den Überlebenden hatte er genug verlangt. Dies war seine eigene Aufgabe: Die Nerzin ausfindig zu machen und ihr die Zähne in den Nacken zu schlagen. Er würde es nicht überleben, doch er brauchte es nur zu schaffen, daß Gru mit ihm ging. Dann, ohne ihre Anführerin, würden die anderen Räuber uneinig werden und andere Gegenden aufsuchen. Einige würden vielleicht bleiben, doch Gru war ihre treibende Kraft und die Gefahr wäre ohne sie nicht mehr so groß.
Er eilte flink zwischen den großen Bäumen hindurch. Sein Kopf war klar. Wunder würde den Wald erben und in seinem Revier jagen. Einauge würde, bis er sich irgendwann den Helden anschloß, bei ihr bleiben. Dann, im Frühjahr, würde sie sich mit jemandem paaren, die Ahnenreihe fortsetzen, vielleicht etwas von Kia und Kine erzählen. Dies war Wieselland. Auf dem Feldweg blieb er stehen und blickte auf die fruchtbaren Äcker und Weiden, sah zum Fluß hinunter, an dessen Ufer das Vieh graste. Es konnte Wirklichkeit werden. Wenn er es schaffen würde, in den Schlupfwinkel einzudringen und sich bis zum Tod in den schwarzen Nacken zu verbeißen.
Der Trecker bremste ab. Er war über den Rand gefahren und wendete nun ganz in der Nähe von Kine, um die nächsten Furchen zu ziehen. Eine Minute lang, in der sich der Fahrer rekelte und den Pflug überprüfte, verbreitete das Radio in dem Führerhäuschen zwischen schrillen Melodien die neuesten Nachrichten aus aller Welt. Der Bauer zeigte sich uninteressiert. Die Nachrichten, die er gerne hörte, wurden ihm abends von seiner Tochter erzählt, die er nicht mehr gesehen hatte, seitdem er in der Morgendämmerung aus dem Haus gegangen war. Durch das Hämmern des Motors vibrierte der Dreck neben seinen Stiefeln.
Als er den Gang einlegte und gerade losfahren wollte, erblickte er das Wiesel. Wie in Trance stand es vor dem Galgen, so bewegungslos, wie man ein Wiesel manchmal beobachten konnte, als ob es den düsteren Streifen irgend etwas mitteilen wollte. Es schien erstarrt zu sein, die weiße Brust schimmerte, ein kleiner Räuber bei der Totenwache. Dann, mit neuem Leben erfüllt, raste es vom Trecker davon auf das Tor zur Marsch zu.
22. Kapitel
Kine lief stetig voran, achtete nicht darauf, was sich rechts und links von ihm befand. Er sah weder die Gräser, die unter dem verrosteten Stacheldraht hoch standen und an anderen Stellen von Kaninchen heruntergetrampelt waren, noch sah er den geriffelten, schon grünen Stamm einer gefällten Eiche. Er bemerkte die Dornsträucher und die großen Sandsteinblöcke nicht, überhörte das Knattern des Treckers. Das Ziel wartete. Er wußte genau, was er zu tun hatte, und es war wichtiger, als Vorsicht zu üben. Kine hatte keine Zeit mehr zu verlieren.
Kleine Vögel, die seine Spannung spürten, zwitscherten und schwirrten aufgeregt über der Hecke herum und riefen: »Er will auf Gru losgehen« und, ihn ein Stück begleitend: »Er wird nicht zurückkehren. Niemand, der die Nerze besucht, kehrt wieder zurück.« Die Kreuzotter lag dort zusammengerollt, wo die Rebhühner gebrütet hatten, und grinste höhnisch. Sie war kein Freund des Wiesels. »Was macht das schon?« fragte sie.
Das Wiesel ging seinen Weg allein. Ab und zu, im Abstand von mehreren Generationen, bildete sich eine Bande, doch das Wiesel beschritt seinen Weg allein, und die Stille der Einsamkeit umhüllte Kine. Er dachte an Ford und an die Überlebenden, die nun in ihre eigenen Länder zurückkehren würden. Er dachte an Fords Optimismus, an seine wilde Angriffslust. Er dachte an das treue Heidewiesel und an Einauge, der auch im hohen Alter noch ungebrochen war. Kine vermißte sie, und sie gaben ihm Kraft.
Er dachte an Gru …
Und er lief schneller. Der Wald blieb hinter ihm zurück, und er passierte die verkrüppelte Esche. Kine raste verbissen voran. Er dachte an Liverskin, Grus Gatten, und an die Wachen vor dem Bunker mit ihren furchterregenden Kiefern. Er dachte an ihre messerscharfen Krallen. Er roch schon förmlich den Gestank der Nerze, spürte ihren heißen Atem. Unermüdlich rannte er weiter. Das bedrückende Gefühl der Einsamkeit durchdrang ihn. Seine Ohren hörten den Vögeln nicht zu. Seine Augen
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