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Das Tal der Wiesel

Das Tal der Wiesel

Titel: Das Tal der Wiesel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A.R. Lloyd
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gerne ins Kino?«
    »Du?«
    »Ja.« Er nickte mit dem Kopf.
    »Ich glaub’ schon«, sagte sie.
    Nun erkannte der Wächter, der die beiden von seinem Ast aus beobachtet hatte, daß sie harmlos waren, und gähnte schläfrig. An diesem Morgen hatte er schon einige Warnrufe ausgegeben, und nun wollte er etwas fressen und sich ausruhen. Für ihn gab es wenig von den Menschen zu lernen. Krähen hatten aus dem gleichen Wald hinuntergesehen, als die Vorläufer des Mädchens in Erdhügeln kauerten und Werkzeuge aus Feuerstein benutzten. Die Vorfahren des Wächters hatten dieses Tal schon gekannt, als es noch eine Flußmündung gewesen war. Galeeren mit dunkelhäutigen Römern und die Langschiffe der plündernden Wikinger hatten ihr Blickfeld gekreuzt. Dann hatte sich das Meer zurückgezogen, und die Marsch war entstanden.
    Bei feuchtem Wetter deutete der dichte Bodennebel, der sich auf der Ebene erstreckte, noch an, wo sich einst die Fluten befunden und wo die Grafen ihre Wimpel auf den alten Schiffen gehißt hatten. Nun waren die aus dem Morgennebel herausragenden Bramsegel von den Spitzen hoher Gebüsche abgelöst worden. Und als die Sonne den Nebel langsam auflöste, zeigte sich weiteres Buschwerk. Allmählich kamen die dunklen Ähren der Seggen und die Rispen der Binsen zum Vorschein; der Nebel zog sich auf die langen Kanäle zurück. Und selbst dorthin folgten ihm bald die wärmenden Sonnenstrahlen und brachten ihn zum Verschwinden.
    Nachdem sich der letzte Dunst verflüchtigt hatte, wurden die neuen Schwertlilien und Riedgräser des Frühlings sichtbar. Sie wuchsen langsam, da die Nächte noch kalt waren, doch bald würden sie erblühen, zusammen mit dem Wegerich, der Schwarzwurz und, später, dem Pfeilkraut. Nah am Wasser drängten sich grüne Büschel durch die abgestorbenen Blätter und Stengel des letzten Jahres. Als die Sonne aufstieg, offenbarte sich noch mehr.
    Einige Tiere hatten im Marschland bereits Junge in die Welt gesetzt. Von der Sonne beschienen, lag ein neugeborener Kiebitz bewegungslos auf einem steinigen Pfad, dessen gescheckte Oberfläche dem Vogel eine natürliche Tarnung bot. Nur das glänzende Auge, das seine Eltern suchte, fiel deutlich auf, ein Juwel mit der Brillanz eines Achats. Der junge Hase kauerte im büscheligen Gras. Im Gegensatz zu den Kaninchen, deren Junge nackt und blind auf die Welt kamen, war der Nachkomme der Hasen im Morgengrauen bereits mit vollständigem Fell und intakten Augen aus dem Schoß seiner Mutter in den Nebel gekrochen und konnte wenig später schon herumhoppeln. Nun war die Häsin dabei, ihr anderes Junges zu stillen; die beiden Nachkömmlinge wurden getrennt versteckt gehalten.
    Die Wildente lief verstohlen in einem trockenen Graben entlang und trieb ihre Brut zum Mullen-Kanal. Sie stieß leise, besorgte Warnrufe aus, um die grauen Entlein auf den Alarm vorzubereiten, damit sie sich dann sogleich unter ihre Flügel verkrochen. Fünf junge Vögel waren es, wenige Tage alt. Die braungesprenkelte Wildente bekam am Winterende als erste von den Wasservögeln der Marsch Nachwuchs. Ihre Jungen torkelten ungeschickt dem Wasser entgegen, erforschten ruckartig watschelnd ihre Umgebung.
    Die Oberfläche des Kanals war glatt, und langbeinige Wasserläufer tanzten darauf. In der Nähe der riesigen Schraube waren die Ufer nicht bewachsen; sie waren übersät von den Öffnungen der Kaninchenröhren, die sich neben der Pumpstation tief in die blaßfarbene Erde bohrten. Vor der Einlaßöffnung zur Förderschnecke befand sich ein Metallrost. Wenn sich die Schraube in Bewegung setzte, wurde das Wasser in einer wirbelnden Flut durch den Rost hindurch angesaugt, doch nun stand sie still, und der Kanal befand sich in einer friedlichen Stimmung.
    Das Gras auf den Ufern rührte sich nicht, die Köpfe der alten Seggen waren bewegungslos. Die Schwäne paddelten schnell mit ihren schwarzen Füßen im Wasser und reckten anmutig ihre Hälse. Der ernste Blick des Männchens blieb flüchtig auf einem winzigen, soeben aufgeworfenen Erdhügel haften, dann kehrte er zum Weibchen zurück, das dabei war, ihr Gefieder zu putzen. Scrat purzelte in einer spitzmausgroßen Lawine die Uferböschung hinunter, schnappte einen gestrandeten Wurm und kletterte wieder hinauf. Er kaute hungrig und blinzelte aus dem Gras auf den schilfbestandenen Kanal hinunter. Sein Ausblick war ausgezeichnet. Eine Minute später sah er, wie der Kopf der Wildente vorsichtig zwischen den Halmen hervorlugte, sich zurückzog und

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