Das Tal der Wiesel
»Jetzt schwimmst du.«
Sie schwammen Seite an Seite, der Kleine schnaufte und pustete ängstlich. Nur langsam kamen sie voran. Ihr Ziel, grün und düster, schien weit entfernt zu sein, und Kine, der an sein letztes Erlebnis im Fluß dachte, drängte zur Eile. Um Haaresbreite war er den blitzschnellen Nerzen entkommen und hatte die betäubende Tiefe kennengelernt. »Schneller!« rief er. »Setz deinen ganzen Körper ein! Paß auf die Wasserpflanzen dort auf! Halte dich von den Strudeln neben den Steinen fern! Atme gleichmäßig!« Riedgräser zeichneten sich undeutlich ab. Schatten winkten sie heran; in der warmen, feuchten Düsternis schimmerte das Sumpfufer. »Nicht nachlassen!« Starre Blätter ragten auf. Seine Pfoten trafen auf Schlick, und im nächsten Moment knurrte er: »Du hast es geschafft – gar nicht mal so schlecht für ein Wiesel, das nicht schwimmen kann.«
Leicht erschöpft kletterten sie zwischen die Flußgewächse hindurch ans Ufer. Hohe Wasserampferpflanzen hatten sich dort in einer tropisch anmutenden Üppigkeit entfaltet, die Wurzeln der Gebüsche waren an den Stellen, wo die kleinen Wellen gegenschwappten, freigelegt worden. Es war ein Ort dunkelschaftiger Halme und düsterer Rispen auf kahlen Stengeln. Über ihm lag eine Schwermut, die nicht durch die leuchtenden Blüten aufgelockert wurde, wie man sie auf der anderen Uferseite, die sie nun hinter sich gelassen hatten, finden konnte. Hier gab es weder Baldrian noch Mädesüß. Nur wenige Pflanzen blühten. Die robuste Raute wirkte mit ihren gelben Blüten aufmunternd, wuchs jedoch nur spärlich. Ebenso der Wasserhanf neben dem Bau des Otters. Aus sumpfigen Mulden ragte niedriges, biegsames Buschwerk, hinter dem, so erschien es Kine, sich eine endlose, nur von Grasbüscheln bewachsene Ebene erstreckte, deren Untergrund feucht und gefährlich war.
Nebelschwaden zogen über das Land. Nur selten kam es vor, daß über dem großen Sumpf kein Nebel lag.
Die weißen Wolken trieben vom Sumpf her über den Pfad und waren manchmal so dicht, daß Ford unwirklich erschien, einem Wieselgespenst glich. Hier und dort, wo der Nebel etwas dünner war, konnte man die ferne Anhöhe des Hinterlandes sehen und im Westen – Kine kam es unendlich weit weg vor – den aufragenden Burghügel. Im Gänsemarsch folgten ihnen die anderen Wiesel. Die letzten waren nicht mehr zu sehen, und Kine beschwerte sich zum soundsovielten Mal über die schlechte Sicht.
Ford sagte: »Der Nebel ist gar nicht so übel. Er hält uns verborgen. Wir müssen nur auf den Pfaden der Schafe bleiben …« Auf jeder Seite davon erstreckte sich die graue, verschleierte Landschaft: ein glucksender Morast, der sich neben ihnen von Zeit zu Zeit öffnete, gähnende Lachen offenbarte, gefüllt mit einer Flüssigkeit, die so schwarz war wie Gru, die Nerzin. Grasbüschel bildeten winzige, stachlige Inseln. »Was wir nicht gebrauchen können, ist Regen. Ein größerer Regenschauer, und diese Pfade sind sehr bald überschwemmt.«
Was Kine sich gut vorstellen konnte. Der Weg war primitiv: ein Damm durch den endlosen Sumpf, der tiefer und tiefer in den wirbelnden Nebel führte. Wölfe waren dort entlanggelaufen. Schafe hatten ihre weißen Knochen in dem schwarzen Morast zurückgelassen. Ein einziger Regenschauer konnte alles zunichte machen. Er sagte: »Wird Zeit, daß wir etwas fressen. Wir müssen bei Kräften bleiben; es liegt noch ein weiter Weg vor uns. Die wirkliche Prüfung beginnt erst, wenn wir den Überfall starten.«
Ford stimmte zu. »Etwas weiter vor uns befindet sich ein Maulwurfsbau. Dort werden wir uns stärken.«
»Warte mal!« Kine war stehengeblieben. »Irgend jemand ruft dort hinten«, sagte er und lauschte angestrengt. »Warte mal, Ford!«
Der Ruf drang nach vorne. Er war unmißverständlich, und Kine wiederholte ihn: »Weihen!« Er blickte durch den Nebel hindurch zurück. »Deckung! Versteckt euch, wo ihr könnt! Keiner darf sich bewegen!«
Er sah die undeutlichen Gestalten der Wiesel, die mit den Grasbüscheln verschmolzen, aber als er nach oben blickte, war vom Nebel alles verschleiert, auch von der Gefahr war nichts zu entdecken. Er fluchte. Dann schlich er von einem Grasbüschel zum anderen, bis zu dem Wiesel, das den Warnschrei ausgestoßen hatte. Es war das Tier, das in dem ersten Kampf mit dem braunen Nerz verletzt worden war. »Wie viele?« fragte Kine.
»Ein Paar; sie kamen in unsere Richtung. Aber dann wurden die Nebelschwaden so dicht, daß ich sie aus den
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