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Das Tarot der Engel: Dritter Band der Tarot-Trilogie (German Edition)

Das Tarot der Engel: Dritter Band der Tarot-Trilogie (German Edition)

Titel: Das Tarot der Engel: Dritter Band der Tarot-Trilogie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marisa Brand
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ohne Gott, weil er Gott allein in sich sah. Nur darum war er über jeden Zweifel erhaben, über jeglichen Schmerz.
    »Du warst der Folterer meiner Mutter«, sagte sie schneidend.
    Der Prophet hob lächelnd die Hände. »Du irrst. Als ich Anne Askew begegnete, war ich selbst Gefangener.«
    »Ich sah dich bei dem Holzgerüst stehen, auf dem man sie gemartert hat«, zürnte Cass.
    Der Seher blieb gleichgültig. »Man hatte mich geholt, weil der Kerkermeister sich weigerte, Anne Askew weiter durch einen Engländer foltern zu lassen. Auf dieser Insel ist es noch gegen das Gesetz, eine Frau der peinlichen Befragung zu unterziehen. Ich aber kam aus Spanien und war in meiner Heimat bekannt als der Löwe des Glaubens. Ein Inquisitor und Meister des Schmerzes. Aber deiner Mutter habe ich kein Leid zugefügt.«
    »Du lügst! Ich sah dich bei den eisernen Hebeln der Winde stehen.«
    »Es war Dudley, der sie bediente. Damals war er noch Katholik und wollte dir, der Ketzertochter, die er in seinem Haushalt erzog, ein für alle Mal alle Aufsässigkeit austreiben. Er ahnte früh, dass du ihm einmal nützlich sein könntest – aber nur durch unbedingten Gehorsam! Erinnerst du dich nicht daran, wie er die Balken immer höher schraubte?«
    Cass erbleichte. »Hör auf!«
    »Warum? Eine Seele muss durch das Feuer der Schmerzen gehen, um sehend zu werden. Ich habe viele Menschen unter Schmerzen beten hören. Nutzlos beten. Ihr Schmerz blieb. Mir war die Kälte der Lust in Dudleys Gesicht vertraut, während er ihren Leib immer weiter spreizte, und mir war auch die unsägliche Qual in Anne Askew Gesicht vertraut. Beide rangen mit ein und demselben Gott.«
    »Ich will das nicht wissen! Es ist zu schrecklich.«
    »Schrecklich war nur ihr Gott, der nichts kennt außer Schmerz und Qual. Worte von Jesus schössen mir durch den Kopf: Lass die Toten ihre Toten begraben. Und in diesem Augenblick hörte ich sie: Die Sprache der Engel aus dem Mund deiner Mutter. Ich begann ihren Schmerz zu fühlen, mir rissen die Sehnen, mir brach der Schweiß aus. Ich wurde ihr Schmerz, und durch ihn kam ich zu Gott. Ich schrie und sang, was sie sagte. Man brach die Folter ab. Diese Worte hatten Macht. Die Sprache der Engel war die Erlösung, auf die ich immer gewartet habe. Du wirst sie mir entschlüsseln.«
    »Es gibt keine Sprache der Engel«, sagte Cass kalt.
    »Du hast soeben mit ihnen gesprochen, mein Kind.«
    »Nein«, entgegnete Cass. »Was du die Sprache der Engel nennst, war die Kerkersprache meiner Mutter. Sie hat sie erfunden, weil sie mir anvertrauen wollte, was sie am Ende ihres Glaubenskampfes nicht aller Welt offenbaren, sondern vor aller Welt verbergen wollte. Ihre Worte galten allein mir, niemandem sonst!«
    Enochs Hände schössen wie Klauen vor, wollten sie greifen: »Verrate mir diese Wahrheit! Verrate sie mir!«
    »Cass!« Ihr Kopf fuhr herum. Sie sah, wie Painbody sein Messer durch die Luft wirbeln ließ, es auffing und direkt neben Nats Kopf in die Bretter rammte, es wieder herauszog, um es noch einmal in die Luft zu werfen. Nat rollte sich zur Seite, Painbody war mit einem Satz über ihm. Cass schürzte die Röcke.
    »Willst du das wachsende Leben in dir opfern?«, fragte die Balsamstimme. »Ich allein kann dich retten.«
    Cass erstarrte. Der Prophet nickte bedächtig. »Sieh selbst!«
    Ihr Blick folgte seinem Zeigefinger der zum Stadttor wies. Sie sah Menschen zur Seite springen und eine Gasse bilden, und sie hörte das Donnern hart beschlagener Pferdehufe auf dem Pflaster. Im selben Augenblick erfüllte ein singendes Geräusch die Luft. Eine Klinge blitzte über ihr auf und bohrte sich zwischen ihr und dem Propheten in den Bretterboden. Am anderen Ende der Bühne begann Painbody zu brüllen. Es war das Brüllen einer verwundeten Bestie.
    »Zur Hölle, was ist das?«, entfuhr es dem Propheten. Er blickte auf den Degen, der sirrend zwischen ihnen ausfederte.
    Cass riss Samuels Degen aus den Bühnenbrettern und umklammerte mit beiden Händen den Griff im Klingenkorb. »Es ist die Sprache der Liebe, und es ist deine letzte Lektion in dem, was du die Sprache der Engel nennst: Ein Gott, den man begreifen und lenken kann, ist kein Gott.« Mit kraftvollem Schwung holte sie aus.

12.
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    ZUR SELBEN STUNDE
    Die Magd knickste und trat zur Seite, um die Männer in verschmutzter Reitkleidung einzulassen. Sie wedelte mit der Hand, um einen Kiepenkerl zu verscheuchen, der hinter ihnen die Stufen zum Haus van

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