Das Tarot der Engel: Dritter Band der Tarot-Trilogie (German Edition)
zusammen und sah, dass Cass und Samuel stehen geblieben waren. Wärmten die beiden Erinnerungen an ihr letztes Schäferstündchen unter den Apfelbäumen auf? Unbehaglich sah sich Nat zu der Gartenmauer um, vor der er wartete. Auf dem Kai dahinter war seit einer Stunde mächtig was los. Er hatte immer wieder über die Mauer gespäht und gesehen, dass Schiffe angelandet waren. Keine Barken mit Gästen, sondern Kriegsschiffe, bestückt mit Towerkanonen und besetzt mit Soldaten in den Farben des Königs.
Was auch immer das zu bedeuten hatte ... Es war Zeit, von hier wegzukommen. Aber noch immer verharrte das Paar unter den Apfelbäumen.
»Der Herr erhört alle Gebete«, sagte Samuel. »Das habe ich durch dich gelernt. Und nun verrate ich dir eins meiner Glaubensgeheimnisse. Manchmal lautet Seine Antwort: Nein. Nimm sie endlich an. Trau diesmal deiner Angst. Enoch ist ein Teufel.«
Cass schwieg kurz. »Ich glaube, es ist besser, wenn ich mich der Angst stelle. Ich will nicht immer wieder weglaufen.«
Samuels Hände gruben sich in das Holz des Fackelschafts.
»Das hast du nie getan! Ich habe dich in der Kirche gehört. Glaub mir, du hast von Anfang an gewusst, dass der Marquis dein Verderben ist. Du bist zu ihm gegangen, obwohl er dir Angst gemacht hat.«
Cass entriss ihm die Fackel und führte sie ganz nah an sein Gesicht.
»Bist du dir so sicher, Samuel? Es gibt noch immer einen Teufel in mir, der mich zweifeln lässt.«
Samuel straffte die Schultern. »Dieser Teufel hat den Namen Enoch. Er wird dir wohl kaum dein Verlangen nach dem Bösen austreiben.«
Cass’ Schultern sanken hilflos herab. »Ich möchte dir glauben, aber ...« Sie brach ab und schüttelte den Kopf. Mit klarer Stimme fuhr sie fort: »Wenn du mir wirklich helfen willst, dann geh mit mir in den Palast.«
»Nein.«
Cass ließ die Fackel zu Boden fallen, trat zu ihm und legte beide Hände um sein Gesicht, zog es zu sich hinunter und küsste ihn fordernd. Samuel schmeckte Zorn und jäh aufschießende Begierde. Cass löste ihren Mund von seinem, hob die Fackel wieder auf und schaute ihn abwartend an. Samuel schüttelte den Kopf. »Ich liebe dich, und es bleibt bei meinem Nein.«
Sie schürzte die Röcke mit der Linken und lief los. Zurück zum Palast.
Hurenscheiße! So war die Sache nicht geplant! Nat überlegte nicht lange, sondern stieß einen markerschütternden Schrei aus. Auf dem Kai hinter der Gartenmauer kam Bewegung in die Soldaten. Nat konnte nur hoffen, dass die Losung der Opal-Bruderschaft auch für Themseschwalben galt. Alles in allem hatte er bei Cass und Samuel eine Menge gut.
Das Wirbeln von Trommeln und Zimbeln füllte den Saal. Trompeten schmetterten helle Fanfarenklänge von der Galerie herab. Eng gedrängt saß die Festgesellschaft an den Tischen. Die Türen zum hinteren Treppentrakt öffneten sich, und ein Strom von Küchenlakaien flutete in den Saal. Auf Tragbrettern schleppten sie Wildschwein am Spieß, versilberten Schwanenbraten, Lamm in Zuckerkruste und andere Prunkgerichte zu den Gästen. Der Saal johlte, man hob die Becher, griff nach dick geschnittenem Brot und legte es auf die goldenen Teller, um die Scheiben mit großen Portionen all der Köstlichkeiten zu beladen. Mit unverhohlener oder heimlicher Gier liebkosten die Gäste die Braten, schielten nach Tranchiergabeln und betrachteten sehnsuchtsvoll Schüsseln mit Tunken und Soßen. Einen ähnlich üppigen Schmaus hatte man zuletzt unter König Heinrich gesehen, als der Staatsschatz unerschöpflich zu sein schien, weil er sich aus dem Reichtum der aufgelösten Klöster speiste. Fürwahr, vor ihnen dampfte und lockte ein Mahl, das eines Königs würdig war und eines Dankfestes für seine Genesung.
Nur, wo blieb Edward, um das ersehnte Zeichen zu geben, mit dem Mahl zu beginnen? Der Thronsessel war noch immer leer. Selbst Dudley fehlte. Nur seine Frau und einige seiner Söhne und Töchter saßen an der hohen Tafel. Verwirrt blickte man zwischen der gräflichen Familie und den Köstlichkeiten hin und her. Die Braten wurden allmählich kalt, die mit gehärtetem Sirup aufgerichteten Flügel der Schwäne sanken traurig herab.
»Die Stunde der Wahrheit naht«, flüsterte Scheyfve Lunetta unter der ohrenbetäubenden Musik zu.
Sie beugte sich näher zu ihm. »Ich kann unmöglich ein Essen mit mehreren Gängen abwarten, ich will hier raus. Tut etwas.«
»Nicht nötig, das Essen wird gar nicht erst stattfinden, so betrüblich das ist.«
»Was soll das nun wieder
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