Das Tarot der Engel: Dritter Band der Tarot-Trilogie (German Edition)
Themse vor.«
»Mein Freund, dir droht keine Gefahr. Ich habe schon gesagt, du wirst den Stein nicht stehlen müssen. Lass dich von den Engeln führen. So wie heute. Brauchst du noch ein wenig Geld? Ich habe derzeit regen Besuch, wie immer, wenn ein Machtwechsel in der Luft liegt.«
Nat runzelte zweifelnd die Stirn. »Kommt drauf an, was ich dafür tun muss.«
»Nichts.«
Nat riss die Augen auf. »Wollt Ihr mich foppen? Nichts scheint mir ein bisschen wenig.«
»Alles kommt zu dem, der warten kann – am richtigen Ort. Oder wie es im Evangelium heißt: Denke nicht an das Morgen, denn das Morgen wird sich um sich selbst kümmern.«
Reichlich bedenkliches Geschäftsprinzip für einen Propheten, fand Nat. Master Enoch hielt ihm eine silberne Münze hin. Nat griff zu und schaute sich nach einem bequemen Fuhrwerk um, das ihn zu einem Bootsanleger mitnehmen konnte. Hurenscheiße, er hatte Glück! Er winkte einem Federhändler zu, der prall gefüllte Säcke vom Geflügelmarkt wegfuhr.
Langsam gewöhnte er sich daran, sich wie ein adliger Pinkel durch die Gegend rollen zu lassen. Nichtstun war eine hübsche Abwechslung, erst recht auf einem Lager aus Eiderdaunen.
9.
G REENWICH P ALACE
D IENSTAG, 9. M AI AM M ORGEN
»Mon Dieu! Haltet endlif ftill!«, presste der Gewandschneider Dupois zwischen Nadeln hervor, die aus seinem Mund spitzten.
»Aber das sticht, und der starre Stoff nimmt mir die Luft zum Atmen«, protestierte Cass, in deren Taille Dupois die Nähte einer Schnürbrust absteckte. Was lag ihr an einem Kleid, das solche Zutaten verlangte. Selbst wenn es im Auftrag des Marquis entstand. Cass lächelte versonnen und schlich sich in Gedanken zurück in die letzte Nacht.
»Ich will, dass du heute Nacht glänzt wie eine Königin, auch wenn unsere Hochzeit im Geheimen stattfinden muss. Goldene Schmuckkettchen wollen wir dir machen mit Perlen aus Silber. «
»Du versündigst dich schon wieder am Lied der Lieder!«
»Du hast alle Zeit der Welt, um mich zu läutern, wenn du meine Frau bist. Siehe, du bist schön, meine Freundin, deine Augen sind Tauben. Du hattest recht. Liebe ist etwas Heiliges, ma petite.«
»Nicht, wenn sie dich zum Lügner macht.«
»Ich lüge nicht, du bist schön. Mein Schneider Dupois wird dir ein Gedicht auf den Leib schneidern, genau wie ich es dir vor unserer ersten gemeinsamen Nacht versprochen habe.«
Und – was wichtiger war – auch danach.
»Fluff mit dem Fappeln!«, schimpfte Dupois. Mon Dieu. Eine einzige Anprobe! Wie sollte er nur je fertig werden? Zumal die Maße, die er diesem Ding vor einem Monat flüchtig abgenommen hatte, nicht stimmten. Widerspenstiges, ungeduldiges Ding! Selbst Herzoginnen zeigten Ehrfurcht und Geduld, wenn er Hand anlegte.
Cass schloss die Augen und zwang sich, ruhig zu stehen. Es fiel ihr schwer, denn alles in ihr war Jubel. Es gab einen gnädigen, unfassbar gütigen Gott! Einen, den ihre Mutter nie gekannt hatte. Was am Hof über den Verführer de Selve getuschelt wurde, war falsch! Unvorsichtigerweise hatte sie sich ihm nach dessen Antrag vor einem Monat ganz geschenkt und war in ein Paradies der Wonne eingetreten. Mit Ambra hatte de Selve den Spalt zwischen ihren Brüsten bestrichen, um sich dann mit kundigem Mund und Händen daran zu ergötzen. Ihr Körper hatte seine Lust ohne Widerstand beantwortet.
Die Leichtigkeit ihrer Vereinigung hatte sie überrascht. Genau wie der Ansturm ungezügelter Lust, die den reißenden Schmerz übertönte, als Antoine ihr Hymen durchstieß und ihr Jungfrauenblut sich mit seinem Samen vermischt hatte. Seither hatte er ihr nicht mehr beigewohnt.
»Ich will bis zu unserer Hochzeit warten. Warten, bis du dich mir ganz öffnest und mir auch deine Seele schenkst! Wirst du das tun?«
Ja. Ja! Er verehrte sie, er liebte sie, er begehrte sie zur Frau. Was lag ihr an dem Kleid! Sie würde der Macht Lord Dudleys bald auf immer entzogen sein. Sie würde nicht nur von ihrem verhassten Ziehvater freikommen, sie würde wahrhaftig lieben und nie mehr Geheimnisse haben. Es würde herrlich sein, die Vergangenheit auszulöschen. Als Madame de Selve! Diese Anprobe allerdings war eine Plage.
Sehnsüchtig glitt der Blick des Mädchens zu den schmalen Fenstern, die auf den Fluss gingen. Eben stieg im Osten die Sonne über der Themse auf, sie schwamm in Blut und Gold und verkündete nach den Regenfällen der letzten Tage einen herrlichen Maibeginn. Staubkörner tanzten auf ihren Strahlen durchs Zimmer. Wenn nur schon Mitternacht
Weitere Kostenlose Bücher