Das Tarot der Engel: Dritter Band der Tarot-Trilogie (German Edition)
Kammerherrn Sidney besorgen? Die beiden müssten Erzfeinde sein.
Nat schüttelte ratlos den Kopf. Reichlich aussichtslos, in diesem Palast der Intrigen zwischen Lüge und Wahrheit zu unterscheiden.
13.
G REENWICH P ALACE
IN DER N ACHT ZUM 10. M AI
Wieder lag die Nacht wie Samt vor den hohen Bogenfenstern. Die Apfelbäume des Königs waren voll erblüht. Für Cass vertropfte die Zeit in den Kammern des Marquis qualvoll zäh. Antoine bestand auf dem von ihm choreographierten pas de deux der Verführung, den sie so viele Nächte genossen hatte. Die Lust war neu für sie und fremd wie die terra incognita, doch an diesem Abend fehlte der lockende Glanz. De Selve wusste noch nichts von ihrem Unglück. Nein, nein, beschwor sich Cass, es musste gar kein Unglück sein!
De Selve war ja unverändert, er hatte sie aufmerksam empfangen und mit Köstlichkeiten bewirtet: den zartesten Stücken von Rebhuhn und Lamprete. Sie musste nur ihren Verstand beisammenhalten, um nichts falsch zu machen und ihre Hoffnung zu zerschlagen. Die, dass der Marquis wirklich der außergewöhnliche Mann war, den sie liebte, und dass sie kein ... Bettschatz! Verfluchter Spanier!
De Selve hatte sie bis auf ihr Flachshemd entkleidet. Jetzt führte er sie zu seinem Bett, liebkoste sie mit seinen Augen. Ihr Blick huschte zu der Stundenkerze auf dem Nachtkasten. Sie war schon auf den Ring zur dritten Stunde heruntergebrannt. Bald würde der Mond der Dämmerung weichen. Wann endlich kam der versprochene Priester?
Es würde ein französischer Katholik sein. Natürlich, aber ihr war es recht, von einem Mann getraut zu werden, der – anders als die Reformer – nicht nur die Taufe und das Abendmahl, sondern auch die Ehe für ein heiliges Sakrament hielt. Zudem blieb keine Zeit für Glaubensgegensätze. Was sie brauchte, war Gottes ungeteilte Barmherzigkeit und de Selves Liebe.
Der Marquis nahm auf der Kante seines Bettes Platz, wollte sie zu sich herabziehen. »Antoine, bitte nicht!«
»Warum? Schenk mir – bis der Priester kommt – wenigstens dieses bescheidene Vergnügen! Du weißt, ich zügele meine Begierde und gehe nie über einen gewissen Punkt hinaus.«
Er hatte es ein Mal getan und nichts damit erreicht. Sie hatte es genossen, war jedoch verschlossen geblieben wie zuvor. Eine Niederlage, die er kein zweites Mal hinnehmen wollte. Die Lust schien für dieses erstaunliche Mädchen ein Spiel zu sein – genauso wie für ihn. Sie spielt es mit Anmut, ohne die albernen Taktiken einer lüsternen Hofdame, aber leider ohne sich in die Karten schauen zu lassen oder unbedacht Trümpfe aus der Hand zu geben. Sie war ihm beinahe ebenbürtig. Beinahe.
Er zauberte ein halb ergebenes, halb gequältes Lächeln auf sein schönes Gesicht. Er hatte es für sie einstudiert und seinem umfangreichen Repertoire hinzugefügt.
Umsonst. Cass entzog ihm ihre Hand und wich seinem Blick aus.
»Warum ist der Priester noch nicht da?«
»Ma petite, er begibt sich in Lebensgefahr für uns. Immerhin sind katholische Zeremonien in England verboten und werden mit dem Tod bestraft. Vielleicht muss er noch einer armen Seele heimlich Sterbesakramente und Letzte Ölung erteilen? Auch wenn wir an verschiedene Kirchen glauben, so ist Trost für einen Sterbenden sicher eine Handlung, die du zu würdigen weißt.«
Sacre du nom! Ihre Widerspenstigkeit verlor langsam an Reiz. Er hatte ein fabelhaft teures Brautgewand schneidern lassen, also gleichsam die Ehe versprochen. Reichte das nicht? Sie musste endlich Edwards Geheimnisse preisgeben! Noch in dieser Nacht! Der französische Botschafter wartete auf Nachricht. Man musste Verhandlungen mit Maria Tudor oder Elisabeth aufnehmen. Und die Spanier hatten ein Geheimnis, das er noch nicht kannte – schlimmer noch, in Spitzelkreisen verspottete man ihn. Auch de Selves Blick streifte die Stundenkerze.
Heftigkeit. Er würde es mit Heftigkeit versuchen. Er würde überwältigt sein vor Leidenschaft, wie von Sinnen, und sie mitreißen. Bedauerlicherweise hatte sie nur einen Spatzenschluck von dem Schlafmohn gekostet. Mais bien! Er konnte auch ohne das berauschend sein.
Antoine de Selve packte Cass beim Handgelenk und warf sie aufs Bett. Im selben Augenblick war er über ihr, nestelte den Kragen ihres Hemdes auf, riss es von ihren Schultern herab. Das hätte er längst tun sollen. Cass schlug nach ihm. Er küsste sie hart auf den Mund, ihr Widerstand ließ nicht nach.
De Selve löste seinen Mund von ihrem, lockerte seinen Griff.
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