Das Tarot der Engel: Dritter Band der Tarot-Trilogie (German Edition)
getrieben hatte. De Selve wandte sich ab und gestattete sich ein triumphierendes Lächeln.
»Das tue ich, aber ...«, setzte Cass an.
Der Marquis unterbrach sie zürnend: »Du hast den Reiz von Unwissenheit und Unschuld verflucht schnell verloren! Bist du wie alle Engländerinnen? Ein ungestümes, ungeduldiges Geschlecht! So grob wie deine Giebelhaube. Ich dachte, darunter würde sich ein anderes Geschöpf verbergen. Reizvoll und doch rein, wie eine sich öffnende Blüte, zu einer Hingabe fähig, die mit den Jahren reift und an Süße gewinnt. Kurz, ich hoffte, dass du mich liebst.«
Bei Gott, das war gut! Ihr Blick grenzte an Verzweiflung. Verzweifelte Weiber redeten sich schnell in die Hölle.
»Das tue ich«, protestierte Cass. »Und ich werde die Haare bald nur nach französischer Art schmücken ... Sobald wir verheiratet sind.« Sie schluckte, ihr Hals war trocken. »In Frankreich wird alles anders. Vielleicht können wir ja ein wenig früher dorthin?«
»Schon wieder nichts als Ungeduld!«
»Antoine, versteh doch, es könnte mich den Kopf kosten, wenn hier bei Hof jemand den Grund für meine französischen Vorlieben entdecken würde«, raunte sie und strich sich verstohlen über den Bauch.
Très bien. Jetzt kamen sie der Sache näher. »Wen sollte eine Vorleserin fürchten?«
»Jeden ... Du kennst diesen Hof und seine Geschichte. Anne Boleyn führte offenes Haar und eure frivolen Samthäubchen in England ein. Sie legte sie am Ende ab, um ihren Kopf auf den Henkersblock zu betten. Danach waren französische Häubchen jahrelang passé.«
»Mein Kopf sitzt so locker wie deiner«, erwiderte de Selve kühl. »Ihr Engländer seid so verdammt stolz auf den Anschein von Keuschheit. Das Leben und die Liebe sind für euch nicht mehr als eine lästige Krankheit.«
Cass richtete sich in den Kissen auf und riss jäh die Augen auf. Ihre Scham wich erwachendem Zorn.
»Das ist nicht wahr! Jede Frau am Hof kokettiert mit dir und darf ungestraft deinem Charme erliegen. Schließlich bist du eine königliche Geisel, Edwards Favorit und Günstling. Nur ich ...« Sie brach ab, als de Selve spöttisch die Brauen hob.
»Willst du behaupten, dass du ein Vorbild an Tugend bist? Zu spät!«
Cass errötete. De Selves Grausamkeit schmerzte mehr als die Stockhiebe, die sie in ihrer Kindheit wegen Unaufmerksamkeiten beim Gebet oder Getuschel während der Bibellesung erduldet hatte. Warum war er mit einem Mal so roh, so gefühllos? War Unaufmerksamkeit gegenüber dem Liebhaber so gefährlich wie Nachlässigkeit im Glauben?
De Selve stand bei einem Waschtisch und reinigte sein Geschlecht und seine Hände. Mit zärtlicher Sorgfalt trocknete er sich ab.
»Was heißt schon Favorit! Die Gunst von Königen welkt rascher als ein Salatkopf«, bemerkte er. »Denke an die Launen Heinrichs. Kaum einer seiner Günstlinge hat seine Zuneigung überlebt. Er hat jeden vernichtet, der sich seinem Willen in den Weg stellte – gleichgültig, ob er dem Papst oder dem neuen Glauben anhing. Junker Tudor wollte Gott sein und tun, wonach ihm gelüstete. Was er wünschte, wurde zum Glaubensartikel über Leben und Tod!«
Was interessierte sie Heinrich der Achte! »Edward ist anders. Er ist ein sanfter und charakterfester Mensch.«
»Tatsächlich? Kennst du die Geschichte über seinen Jagdfalken?«
»Das ist ein Märchen, das seine Feinde erzählen. Die Katholiken, die Spanier ...«
»Non, kein Märchen. Ich war dabei! Er hat das wundervolle Tier, das ihm vertraute, gepackt und mit seinen dürren Händen zerrissen, aus Wut darüber, dass der Kronrat ihm ein belangloses Gesetz oder eine Abrechnung nicht vorgelegt hatte. Er wütete wie sein Vater, der seine Lieblingshunde unter Trommelwirbel aufhängen ließ, weil sie im Wettkampf einen Löwen gerissen hatten, auf den er Geld gesetzt hatte. Ich sage dir, die Tudors sind wahnsinnig und besessen von ihrem Aufstieg aus der Riege des Schafzüchteradels zur Ehre der Krone.«
Cass erbleichte. Niemand durfte wagen, so über Englands Regenten zu sprechen. Niemand.
»Ich kenne Edward ...«
Endlich! »Ja?«
»... kaum, aber ich weiß, dass du ihn verzauberst. Keiner außer dir darf ihn vom theologischen Studium weglocken, hinaus zu Turnieren, zur Jagd, zu Maskeraden und Tanz.«
Verflucht, wann würde dieses Mädchen endlich die Waffen strecken? Engländer reagierten gemeinhin auf Majestätsbeleidigung wie gereizte Tanzbären und kopflos. Nicht diese Cass. Er musste es mit dem Glauben versuchen.
»Nun, ihr
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