Das Tarot der Engel: Dritter Band der Tarot-Trilogie (German Edition)
Stich gelassen?«, fragte er beiläufig. »Keine Angst, einem Schneider kann eine Frau alles anvertrauen. Es ist geradezu ihre Pflicht.«
Cass starrte in den Spiegel, ihre Wangen hatten wieder Farbe angenommen. »Mein ... mein cursus ... Ihr glaubt ...«
Bei Gott, nein! Das war schlimmer als Gift.
»Ich muss den Marquis finden. Ich muss ...« Cass stürzte zur Tür.
»Nicht so!« Dupois haschte nach ihrem Arm. Cass wich ihm aus, fiel auf die Knie, suchte die Dielen nach ihrer Haube ab.
»Liebes Kind! Bedenkt seine Stellung, seine Liebe zur Schönheit, seinen Stil. Angesichts Eures Zustandes wäre es fatal, wenn Ihr Euch Antoine de Selve nicht im allerbesten Licht zeigen würdet, und ich habe die Mittel dazu.«
»Mein Aussehen interessiert mich jetzt nicht. Er wird mich ja heute Nacht heiraten! Darum das Kleid. Aber ich kann nicht einen Tag länger bei Hof bleiben. Lord Dudley ...«
»Heiraten?!«, rief Dupois fassungslos aus. »Der Marquis? Das ... das ist unmöglich.« Der Schneider brach ab. Es war nicht seine Aufgabe, dem Kind die Augen zu öffnen. De Selve würde es noch früh genug tun.
Cass beachtete ihn nicht weiter. Sie kniete auf dem Boden und angelte nach ihrer Haube. Sie riss sie an sich, sprang auf die Füße und presste sie schutzsuchend an sich, während in ihrem Kopf eine wilde Jagd gespenstischer Bilder tobte.
Denk nach, alberne Gans!, schalt sie sich stumm. Denk nach, was zu tun ist!
Totenbleich, sich die Lippen zerbeißend stand Cass bei der Tür und streichelte die Giebelhaube. Dupois erschauderte. Es war, als wiege sie ihr abgeschlagenes Haupt im Arm. Oder wurden unkeusche Jungfern, die sich einem möglichen Feind Englands hingegeben hatten, nicht als Hochverräterinnen gerichtet, sondern in ein Kloster verbannt? Parbleu, die waren auf dieser Insel ja abgeschafft! Je länger er darüber nachdachte, desto berechtigter schien ihm die Todesangst des Mädchens zu sein.
»Überlegt gut, was Ihr tut. Der Marquis verabscheut jammernde, drängende Mätre- ... Frauen.« Und erst recht schwangere. De Selve fehlte eigenes Geld, um sie zu versorgen, weshalb er gemeinhin verheiratete Frauen als Bettgenossinnen bevorzugte, wie jeder gescheite Mann.
»Seid auf der Hut, wahrt das Geheimnis noch, fesselt sein Begehren!« Besser noch das eines anderen. »Ihr müsst strahlen, leuchten, ganz egal, wie es in Euch aussieht. Vergesst nie zu lächeln, Ihr wisst nie, wer sich in Euer Lächeln verlieben könnte!«
Vielleicht irgendein ehrgeiziger englischer Dummkopf aus niederem Schafzüchteradel? Frauen mit Verbindungen zum Haus Dudley waren auch ohne Mitgift ein begehrtes Heiratsgut. Wenn zudem er – François Dupois – seine Schneiderkunst bemühte und sie Gelegenheit fände, sich darin zu zeigen. »Lasst uns das Kleid zu Ende ...«
Seine Warnungen prallten vom Türblatt ab. Das Mädchen war verschwunden. Mein Gott, dieses Kind hatte keinen blassen Schimmer, wozu ein Marquis de Selve fähig war, wenn gesundes Kalkül sein Begehren erstickte und die Prosa männlicher Vernunft über die Poesie weiblicher Herzen siegte.
Nun, wenigstens trug sie das seidene Unterkleid, darunter die halbwegs fertige Schnürbrust – wenn auch ohne Blankscheit. In einem Schlafgemach könnte das als leichtes Gewand durchgehen.
Sie würde hübsch aussehen heute Nacht, wenn auch nicht wie ein Ruhmesblatt seiner Kunst. Seufzend begutachtete er das Übergewand aus changierendem Seidendamast. Eine Schande, dass sie es wohl nie tragen würde! Gerade jetzt, wo sie vor seinen Augen erblüht war und er mit untrüglichem Instinkt die Farbtöne gewählt hatte, die ihr schmeichelten. Und all die viele Arbeit umsonst!
Non, das nicht! Wenn er sich Cass entledigt hatte, würde der Marquis das Oberkleid höchstwahrscheinlich seiner Verlobten in Frankreich verehren. Schließlich hatte er eine stattliche Summe für diesen Stoff gezahlt, und diese Summe stammte aus den Truhen der Duchesse de Malvois, wie aller Luxus, der ihn umgab und den er zu Recht schätzte. Oui, die Duchesse hatte ein Geschenk verdient.
»Allors, die Nadel muss fliegen!«
Dupois machte sich daran, die kunstvoll gefältelten Stoffmassen aufzutrennen. Die Witwe Malvois war ein sehr, sehr üppiges Weib. Immerhin schätzte sie Schnürbrüste, und sie hatte sie auch bitter nötig. Ob er es einmal mit Bleiplatten versuchen sollte wie die Spanier?
12.
Cass’ Herz hämmerte bis zum Hals, sie lehnte sich an die Mauer des düsteren Dienstbotenflures und umklammerte ihre Haube.
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