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Das Tarot der Engel: Dritter Band der Tarot-Trilogie (German Edition)

Das Tarot der Engel: Dritter Band der Tarot-Trilogie (German Edition)

Titel: Das Tarot der Engel: Dritter Band der Tarot-Trilogie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marisa Brand
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London war zusammengeströmt und – so schien es – der ganze Bodensatz der Metropole: Ein Lumpenvolk aus Bettlern, Fischweibern, fahrenden Scholaren, Winkelkrämern, Branntweinhökern, Huren und Lastträgern durchsetzte die lärmende Menge. Angeheitert von Freibier, das von Fassträgern in Holzbecher, Kuhhörner oder aufgerissene Mäuler ausgeschenkt wurde, stimmten Studenten und Trunkenbolde gröhlende Gesänge an. Einige Zecher verwickelten sich in Raufhändel, zwei Bären tanzten, Wirtshausmusikanten forderten mit spitzen Flötentönen zum Tanz auf.
    Nat schlängelte sich wie ein Aal durch das Gewoge aus hüpfenden und dampfenden Leibern und zog Cass hinter sich her. In der Hitze, der drangvollen Enge und dem Gestank von ungewaschener Kleidung, von vergorenem Bier und den Faulgasen schlecht verdauter Zwiebeln, den viele ausdünsteten, kämpfte sie gegen eine Mischung aus Hunger und Übelkeit an.
    Nat hatte ihr Hilfe versprochen, aber würde er auch Wort halten? Sie wollte hier weg, bevor die Galgenvögel sie zu ihrer Komplizin gemacht und damit endgültig in der Hand hätten. Wenn sie nur kräftiger wäre, wenn ihr nur nicht ständig schwindelig sein würde! Sie bereute es, dass sie nichts von dem Morgenbrei gegessen hatte. So widerlich er war, sie musste zu Kräften kommen und endlich ihr Gedächtnis zurückerobern. Die Erinnerung an den Namen Dudley war ein Hinweis, dass sie es konnte und dass sie nicht so unbedeutend war, wie es schien.
    Denk nach! Denk nach!, befahl sie sich, während sich ihr Magen beim Geruch eines muffig riechenden Käses verkrampfte, von dem ein Bauer neben ihr dicke Scheiben herunterschnitt. Nat zog sie weiter, immer tiefer in die Menge hinein. Sie musste zu Menschen, die sie kannten, die ihrer Erinnerung aufhelfen konnten. Nur wohin?
    Nachts, im Traum, sah sie Gesichter, die ihr vertraut waren, doch sie entglitten ihr und blieben namenlos.
    Nat hatte erklärt, er habe sie an einem Morgen im Mai aus dem Fluss gezogen, auf der Höhe eines Fähranlegers. Ein Gestrüpp sei ihre Rettung gewesen, es hatte sich in ihre Kleider und Haare verkrallt und sie über Wasser gehalten. Nat glaubte, dass sie sich an ein Treibholz geklammert haben musste und bei Flut auf die City zugetrieben worden war. Er hatte Painbodys Männer geholt, die sie zur London Bridge gebracht hatten und keinen Wert darauf legten, dem Brückenvogt Meldung über die beinahe Ertrunkene zu machen. Versuchte Selbsttötung war ein todeswürdiges Verbrechen. Nat hatte aus Gutmütigkeit gehandelt, daran zweifelte sie nicht.
    Nur seinem flinken Geist war es zu verdanken, dass Painbody und seine Kumpane sie nicht einfach entkleidet, vergewaltigt und wieder in den Fluss geworfen hatten. Nat hatte die Bande auf die Idee gebracht, sie so lange bei sich zu behalten, bis ein Verwandter oder Freund von ihr gefunden wäre, der bereit war, ein Lösegeld für sie zu zahlen. Ein Gedanke, dem Painbody sofort zugestimmt hatte.
    Gab es einen solchen Menschen? Gab es irgendjemanden, der sie suchte? Oder gab es vielleicht einen, der Geld dafür gezahlt hatte, dass man sie nicht fand? Trotz der Hitze schauderte Cass. Wie kam sie darauf? Was gab ihr einen solch entsetzlichen Gedanken ein? Hatte sie etwas getan, das den Wunsch erwecken konnte, sie zu töten? Und das Kind? Bei Gott, sie brauchte Hilfe, und wie es schien, war ein struppiger Gossenjunge und Dieb der einzige Freund, den sie noch besaß.
    Painbody war plötzlich hinter ihr, schob sie tiefer in die dichte Menschenmenge und verschuf ihnen mit Püffen und Schlägen Platz. Ein gehässiges Grinsen überzog sein Gesicht, als sie sich zu ihm umdrehte. Er gab seinen Kumpanen ein Zeichen. Sie schwärmten nach allen Richtungen aus und begannen, in aller Gemütsruhe ihrem Handwerk nachzugehen.
    »Schau zu und lerne«, knurrte Painbody in Cass’ Richtung. Sie sah, dass seine Männer zu zweit arbeiteten. Einer gab von vorne den Betrunkenen oder den Scherzbold und lenkte das Opfer ab, während der andere von hinten mit fliegenden Fingern Beinkleider, Wämser und Gürtel nach baumelnden Börsen, lose sitzenden Perlenbesätzen, Ketten und Geldkatzen abtastete. Es waren gut geschulte Diebe, wie Cass feststellte. Fündig geworden, tauchten Painbodys Männer rasch in der Menge unter, suchten ihren Anführer und steckten ihm die Beutestücke unauffällig zu, sodass eine Durchsuchung ihnen nichts anhaben konnte.
    »Er lässt uns mit einer Klingelpuppe üben«, erläuterte Nat, »einem Lumpenkerl, den er an

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