Das Tarot der Engel: Dritter Band der Tarot-Trilogie (German Edition)
eine Leine hängt. Hat überall am ganzen Körper Glöckchen.« Stolz fügte er hinzu. »Hab einen ganzen Winter geübt, bis kein Glöckchen mehr bimmelte.«
Painbody drängte sich zu ihnen. »Und jetzt ihr. Da vorn beim Torhaus.« Er wies zum Themsezugang von Durham Haus, wo bezahlte Platzhalter sich bemühten, Raum für vornehmere Zaungäste freizuhalten. Ihre Kundschaft – Kaufleute und Handwerksmeister – hofften auf einen sicheren Stehplatz und die Gelegenheit, einem königlichen Minister beim Verlassen des Festes ein Bittgesuch und Bestechungsgeschenke zustecken zu können. Nat nickte Cass verstohlen zu. »Da is ne Menge los, komm. Wir finden schon eine Möglichkeit.«
Dank Nats Geschick und Painbodys Körpereinsatz gelangte das Trio bis zu dem dichten Sperrring, den Dudleys Söldner vor dem flusswärtigen Schmiedetor von Durham gebildet hatten.
Nat reckte den Hals, sprang auf und ab und tat so, als wolle er einen Blick auf den gepflasterten Innenhof, die Kapelle und die von Marmorsäulen getragene Festhalle werfen, in der sich der Tudor-Hof vergnügte.
»Mach, dass du wegkommst!«, schnauzte ihn ein Soldat an, lenkte den Schaft seiner Hellebarde in Nats Richtung und spuckte auf den Boden. Die Spuren gierig grabender Finger und rutschender Sohlen zeichneten sich im Lehm ab. Sie zeugten von dem üblichen Münzenregen, den das frisch verheiratete Paar den Zaungästen zugeworfen hatte.
Mehr als zwei Stunden war es her, dass das hohe Bimmeln der Kapellenglocke den Vollzug der Trauung verkündet hatte. Nach Tradition einer Königshochzeit war das Paar danach über einen hohen gezimmerten Schausteg zum Tor geschritten, um sich dem Volk zu zeigen.
»Hier gibt es nichts mehr zu holen«, brummte der Soldat. Und für ihn nichts zu verdienen an einem Hänfling wie Nat, der keinen Penny springen lassen könnte, um sich in die Schlange der Bittsteller einzureihen, die um die Aufmerksamkeit der Soldaten buhlten. Das erste Hindernis, das es zu überwinden galt, wenn man nah an einen Höfling heran wollte.
Als der Wachmann wieder seine Hellebarde auf Nat lenkte, zog Cass an seinem Hemd. »Lass uns jetzt verschwinden!«, drängte sie mit Blick auf den Waffenrock des Dudley-Mannes. »Bitte!« Etwas in ihr reagierte mit hellem Entsetzen auf Wappen und Farben des Herzogs von Northumberland. »Die Gelegenheit ist günstig, Painbody spricht gerade mit dem Knochensammler.«
Nat schaute kurz in ihre taubengrauen Augen. Zum ersten Mal sah er darin entsetzliche Todesangst, nicht mehr matte Gleichgültigkeit oder flüchtigen Zorn. Was erschreckte das Mädchen so sehr, nachdem es in den vergangenen Wochen so teilnahmslos gewesen war?
Eins hatte er in seinem jungen Leben gelernt: Man musste immer misstrauisch sein. War es ratsam, seinem verrückten Wunsch, der jungen Frau zu helfen, weiter nachzugeben? Woran erinnerte Cass sich noch außer an das Haus Dudley? Und warum hatte sie mit Samuel van Berck gekämpft? Dass es dabei nicht um ein Schäferstündchen gegangen war, hatte Nat längst begriffen.
Entschlossen straffte er seinen mageren Rücken. »Weißt du wirklich nicht, wer du bist? Oder was dir widerfahren ist, bevor du ins Wasser gefallen bist?«
Gestoßen, ich wurde gestoßen, dachte Cass plötzlich, sagte es aber nicht, sondern schüttelte den Kopf. »Ich werde alles herausfinden, wenn ich erst wieder frei bin und nicht immer in Todesangst leben muss«, flüsterte sie eindringlich. Frei sein und ohne Furcht.
Nat seufzte, so ganz von dieser Welt war sie noch immer nicht. Ein bisschen wie der Prophet, der ihn angewiesen hatte, nach einer ziemlich heiligen Braut Ausschau zu halten.
Cass sah die Zweifel in Nats Gesicht, bückte sich und befingerte ihren Rocksaum. Rasch kam sie nach oben, öffnete kurz ihre Hand. »Schau, was ich habe.«
Nat erkannte den Opal sofort. Bei Gott, er hatte ihn gefunden. Er hatte ihn endlich gefunden! Das allein zählte. »Okay, komm! Wir müssen in die City zu Master Enoch.«
Eine Parade von Stelzengängern versperrte ihnen den Weg.
»Enoch?«, fragte Cass erstaunt. »Wer ist das?«
»Der Prophet von Newgate, ich erklärs dir später.« Entschlossen packte er Cass beim Arm, wollte sie hinter sich herziehen, als Joshua Painbody sie von hinten trennte.
»Habt ihr schon wieder Geheimnisse?« Er zog Cass an sich heran. »Am Anleger tut sich was. Scheinen erlesene Gäste zu kommen. Nat, das ist die Gelegenheit für dich, den albernen Gaffern und Lacken hier kräftig in die Taschen zu langen.
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