Das Tarot der Engel: Dritter Band der Tarot-Trilogie (German Edition)
erschöpft.
»Was sagst du?« Lunetta riss das Mädchen an den Schultern hoch. »Mein Sohn! Du kennst meinen Sohn? Wo ist er?«
»Ich dachte, er ist tot«, stieß Cass kraftlos hervor. »Der Pfeil.« Sie riss die Hände schützend vor ihr Gesicht, dann schlug sie nach Lunetta. Die ließ sofort ihre Schultern los. Die junge Frau sank in die Kissen, umfangen von gnädiger Bewusstlosigkeit.
III. Teil
M ETATRON
(D EINEM T HRON NAHE STEHEND )
D EM T HRON G OTTES STEHE ICH AM NÄCHSTEN .
M AN NENNT MICH DEN K ÖNIG DER E NGEL ,
WIEWOHL ICH UNTER IHNEN DER JÜNGSTE BIN .
A LS E NOCH , DER G ELEHRTE ,
WANDELTE ICH EINST AUF E RDEN ,
UND DA G OTT MICH LIEBTE ,
ERHÖHTE ER MICH ZU SEINEM S CHREIBER ,
OHNE DASS ICH STARB .
I CH BIN DER H ÜTER ALLER M ENSCHEN UND IHRER
W ÜNSCHE .
F ARBE : WEISS , GOLD , VIOLETT UND ORANGE
E DELSTEIN : A METHYST
T IERE : S ALAMANDER , S CHLANGE
T AROTKARTE : ALLE , DENN DURCH IHN WURDEN SIE
OFFENBART
Metatrons Botschaft: Alles wird erkannt,
sobald es dem Licht ausgesetzt wird, und was immer dem Licht
ausgesetzt wird, wird selber zu Licht.
I.
C ANTERBURY
S ONNTAG, 11. J UNI
Gabriel Zimenes stand bei der offenen Dachluke einer Gasthauskammer und betrachtete die Kathedrale von Canterbury. Brausendes Glockengeläut füllte den Vorplatz. Im Vierungsturm schlug Bell Harry – umwimmelt vom hektischen Bimmeln kleiner Glocken – die elfte Stunde. Bunt gekleidete Bürger und graue Pilger aus fernen Ländern, die noch an die Wunder des heiligen Thomas Becket glaubten, strömten zum Gottesdienst. Der blaue Himmel barg das Flimmern des Sommers.
»Ich sagte es doch, diese Kirche ist wundervoll!« Jehan Scheyfve trat neben Zimenes und sog gemütvoll die Luft ein, nahm einen Schluck Ale und biss von einem Käse ab. »Ein steinernes Buch des Glaubens«, schwärmte er kauend, »und zugleich ein Bauwerk des Volkes voller Frohsinn und Leichtigkeit. Habt Ihr das Gesims mit den trunkenen Mönchen und den lüsternen Nönnchen entdeckt? Dazu das Kreuzgewölbe ...«
Zimenes unterbrach ihn unwirsch. »Maldito, Scheyfve! Ich hatte die letzten zwei Wochen Zeit genug Zeit, Verstrebungen, , Pfeiler, Grabmäler und den anderen Prunk zu studieren. Es langt. Ich will jetzt endlich nach London. Lunetta wartet voller Ungeduld. Wo ist Samuel?«
»Austreten. So viel Zeit muss sein. Und bei allem Mitgefühl für die Ungeduld eines Mutterherzens – Samuel ist erwachsen. Seine Mutter hat Nachricht von seiner Rettung, und die vielen Briefe, die sie ihm schrieb, haben Samuel regelrecht zornig gemacht. Zu viele Ermahnungen, wie ich annehme.«
»Ich hoffe, Ihr nehmt es nur an und wisst es nicht.«
Jehan Scheyfve war ganz Empörung »Was denkt Ihr von mir!«
»Dass Ihr unter der Berufskrankheit aller Hofdiplomaten leidet. Ihr steckt Eure Nase in alles hinein.«
Scheyfve hob bedauernd die Brauen. »Und Ihr seid ein Arzt, dessen Gedanken sich zu oft mit Krankheit, Verfall und Zersetzung beschäftigen. Mein Freund, ich werde mich bald aus dem Diplomatenamt zurückziehen und möchte meine Karriere mit einem Meisterwerk krönen, nicht mit unnötiger Schnüffelei. Traut mir endlich! Ich habe Euch genug Grund dazu gegeben.«
»Und ich werde zum Dank Maria Tudors Leibarzt.« Zimenes wandte sich vom Fenster ab. »Aber vorher bringe ich Lunetta ihren Sohn zurück, und ich werde dafür sorgen, dass Lambert aus dem Gefängnis freikommt. Die van Bercks haben in Eurem Namen genug Abenteuer erlebt.«
Scheyfve seufzte. »Das Gefängnis ist für Lambert ein sicherer Ort. Dudley hat inzwischen Dutzende ehrsamer Londoner Kaufleute und Gildeherren verhaftet. Er braucht sie. Sie müssen ebenso wie das Parlament der Testamentsänderung von König Edward zustimmen. Wenn Lambert klug ist, unterschreibt er für Jane Grey, und er ist frei.«
»Er lässt sich nicht erpressen, er ist ein Mann von Ehre.«
»Und stur wie ein Bock. Das scheint bei Euch eine Familienkrankheit zu sein. Man muss sich den Notwendigkeiten zu beugen wissen. Sobald Maria Tudor auf dem Thron sitzt – und das wird sie –, kann ich dafür sorgen, dass man Lamberts Unterschrift wieder vergisst! Es ist also in Eurem Interesse, dass wir sofort Richtung Norden, zum Landsitz der künftigen Königin reisen.« Scheyfve biss energisch von seinem Käse ab.
Zimenes schüttelte den Kopf. »Erst bringe ich Samuel nach London. Goswin hat Pferde und eine Kutsche besorgt. Wir reisen heute Mittag.«
»Gewiss! Gen Norden. Es ist dringlich. Der junge Edward spuckt
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