Das Tattoo
immer noch die Stimme hören, aber die Worte konnte sie nicht verstehen. In ihrem Gedächtnis blitzten schlag lichtartig Bilder auf.
Hände auf ihrem Mund.
Ein scharfer Stich in ihren Oberarm.
Irgendwer, der ihren Namen flüsterte.
Sie rang nach Atem und hielt sich den Kopf, fast so, als wollte
sie die Bilder festhalten, aber sie lösten sich ebenso schnell wieder in Nichts auf, wie sie gekommen waren. Sie stöhnte.
„Was ist?” fragte Clay.
„Ich weiß nicht. Irgendetwas ist einfach …” Sie schüttelte den Kopf. „Jetzt ist es wieder weg. Ich weiß nicht, ob es eine Erinnerung oder meine Fantasie war.”
Clay ging nicht weiter darauf ein, entschlossen, das was sie eben gesagt hatte, zu überhören.
„Wir sind fast zu Hause”, sagte er. „Du solltest dich ein biss chen hinlegen, dann wirst du dich bald besser fühlen.”
Sie zuckte zusammen. Ihr Mann glaubte ihr einfach nicht, dass sie ebenso ratlos war wie er, und das machte Frankie schier wahnsinnig.
„Nein, Clay, das werde ich nicht”, widersprach sie vehement. „Ich weiß ganz genau, dass ich mich erst wieder besser fühle, wenn ich begreife, was hier gespielt wird. Ich habe zwei Jahre meines Lebens verloren, und so wie es sich mir im Moment dar stellt, bin ich gerade auch noch dabei, meinen Ehemann zu verlie ren. Daran wird ein Mittagsschlaf absolut nichts ändern.”
Aus seinem Gesicht wich alle Farbe. „Du verlierst mich nicht”, brummte er.
„Mir kommt es aber so vor.”
Sie schaute ihn einen langen Moment an, vielleicht weil sie auf eine tröstlichere Reaktion hoffte, doch die blieb aus. Als er in die Straße einbog, in der sie wohnten, wandte sie den Blick ab.
Die angespannte Atmosphäre verflüchtigte sich auch nicht, als sie vor dem Haus hielten und er Frankie beim Aussteigen half.
Aufgrund des tagelangen Regens roch es drinnen noch immer muffig. Clay ließ Frankie einen Moment los, um die Heizung anzustellen, merkte aber, dass sie noch recht unsicher auf den Beinen stand. Mit einem Satz war er bei ihr, um sie zu stüt zen, wobei seine Hand ihre Brust streifte und auf ihrer Hüfte liegen blieb.
Sie sah, wie seine Nasenflügel bebten und öffnete leicht den Mund. In einer Mischung aus Liebe und Verzweiflung neigte sie sich ihm entgegen. Doch er reagierte auf diese Geste nicht.
In der verzweifelten Hoffnung, er möge näher kommen, sie in die Arme nehmen und ihr sagen, wie viel sie ihm bedeutete und wie glücklich er sei, sie wiederzuhaben, spannte sie sämtliche Muskeln an.
Aber ihre Hoffnung wurde enttäuscht. Nachdem sie eine Weile gewartet hatte, hob sie trotzig das Kinn und sagte mit trä nenerstickter Stimme: „Weißt du was, Clay? Bisher habe ich dich nie für einen Feigling gehalten.”
Mit diesen Worten nahm sie ihm ihre Tasche aus der Hand und ging allein den Flur hinunter. Es war der längste Flur ihres Lebens.
Clay schaute ihr nach.’ Am liebsten wäre er ihr nachgelaufen. Aber er konnte die letzten beiden schrecklichen Jahre einfach nicht vergessen, Jahre, in denen er sie für tot gehalten hatte, Jahre, in denen er von der Polizei verdächtigt und von den Medien ge hetzt worden war. Ein Teil von ihm wagte es schlicht und ergrei fend nicht, den Schutzwall niederzureißen, den er um sein Herz aufgerichtet hatte.
„Feigling”, brummte er in sich hinein und ging in die Küche, um Kaffee zu machen.
Als sein Blick auf den Umschlag und den kleinen Kleidersta pel auf dem Küchentisch fiel, erinnerte er sich daran, dass er vor gehabt hatte, die Sachen wegzuräumen. Er griff nach den Klei dern und befühlte den Stoff. Er war in Sachen Mode kein Exper te, aber dass diese Kleider hier nicht von der Stange waren, erkannte er auf den ersten Blick. Er legte sie wieder auf den Tisch
und griff nach dem Umschlag, immer noch fassungslos darüber, dass Frankie so viel Geld mit sich herumgetragen hatte.
Als er sie den Flur hinunterkommen hörte, drehte er sich zur Tür. Plötzlich wollte er ihr Gesicht sehen, wenn er ihr das Geld zeigte. Wenn sie ihm etwas verheimlichte, würden ihre Mimik sie verraten.
Sie kam mit einer leeren Schachtel Tabletten in der Hand in die Küche. Ihr Gesichtsausdruck war verschlossen, ihre Körper haltung abwehrend.
„Ich habe Kopfschmerzen, und die Aspirin sind alle.”
Er warf den Umschlag auf den Tresen und öffnete einen Hängeschrank über der Spüle.
„Hier”, sagte er und drückte ihr zwei Tabletten in die Hand.
„Danke.”
Bei ihrem Anblick bekam Clay plötzlich ein
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