Das Tattoo
nach. „Na hier, hin ter deinem Ohr.”
Mit aufflackernder Panik stieß sie seine Hand weg, um mit zitternden Fingern die von ihm bezeichnete Stelle zu betasten. Es war, als ob er sie auf eine Zecke aufmerksam gemacht hätte, die sich in ihr Fleisch gebohrt hatte.
„Ich fühle nichts”, murmelte sie und hätte am liebsten ge weint.
Er nahm ihren Finger und legte ihn auf das goldene Henkel kreuz.
„Da.”
Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie ihn entsetzt an. „Was ist das, ein Henkelkreuz? Wie sieht es aus?”
Clay überraschte die Panik, die sich in ihrem Gesicht ab zeichnete. Damit hatte er nicht gerechnet. Allerdings hätte er auch nicht sagen können, womit genau er gerechnet hatte.
„Wie ein Kreuz, nur mit einer Art Schlaufe oben. Ich glaube, es ist ein ägyptisches Symbol.”
Jetzt trägst du mein Zeichen. Damit wirst du in den Augen der Welt immer mir gehören.” Worte, die in ihrem Kopf nachhallten.
Frankie schloss die Augen. „Fass mich nicht an”, flüsterte sie. „Ich werde dir nie gehören.”
Nach diesen Worten wurde sie ohnmächtig und fiel vornüber direkt in Clays Arme.
5. KAPITEL
Die Sonne schien kraftlos, aber hell, als die Schwester Frankie im Rollstuhl aus dem Krankenhaus schob. Als die kühle Luft durch ihren dünnen Pullover drang, erschauerte Frankie vor Kälte. Was Clay wohl mit ihren Kleidern gemacht haben mochte? Hatte er sie in dem Glauben, dass sie tot sei, weggegeben? Ihre Unterlippe zitterte, aber sie schaffte es, nicht zu weinen. Ihre vertraute Welt gab es nicht mehr, obwohl sie sich nicht daran erinnern konnte, sie verlassen zu haben. Du lieber Gott, wie hatte das bloß alles passieren können?
Manchmal spürte sie, dass etwas an den Rändern ihres Be wusstseins zerrte. Die Gefühle, die sie im Moment durchlitt, erinnerten sie an jene, die sie nach dem Tod ihrer Eltern gequält hatten. Die Eltern und das glückliche Zuhause, eine Geborgen heit, die ihr von einem Moment auf den anderen genommen wor den war. Und dann war sie, ehe sie sich versah, in diesem Waisen haus gelandet, wo sie nachts unter der Bettdecke um ihre Mutter und ihren Vater geweint hatte, die für immer von ihr gegangen waren.
Und jetzt dies.
Das Letzte, woran sie sich erinnerte, war, dass sie vom Regen überrascht wurde und anschließend mit Kopfschmerzen nach Hause kam und ins Bett kroch. Damit begann ein Albtraum, der von Tag zu Tag schlimmer wurde. Die emotionale Distanz zwi schen ihr und Clay war so unübersehbar, dass sie fast mit Händen zu greifen war, und das machte ihr schreckliche Angst. Clay war alles, was sie auf dieser Welt hatte. Wenn er sie verließ …
Sie erschauerte. Nicht auszudenken, was das für sie bedeuten würde.
„Ist Ihnen kalt?” fragte die Krankenschwester.
Frankie zuckte unschlüssig die Schultern. Es war einfacher zuzugeben, dass ihr kalt war, als sich selbst ihre Angst einzuge stehen.
„Vielleicht ein bisschen.”
Die Krankenschwester schob den Rollstuhl in eine windge schützte Ecke.
„Da kommt Ihr Mann ja schon”, sagte die Frau, während sie auf einen grauen Sedan deutete.
Frankie erkannte das Auto nicht, aber wie sollte sie auch? Ihre Stimmung verdüsterte sich noch weiter. In zwei Jahren konnte sich viel verändern.
Sie beobachtete, wie sich Clay einen Parkplatz suchte und aus dem Auto stieg. Als er auf sie zukam, schaute sie ihm blinzelnd entgegen. Dabei erinnerte sie sich an die erste Begegnung mit ihm. Sie hatte damals in einem Steakhouse gearbeitet, um sich ihr Studium zu finanzieren. Sie hatte ihn dabei ertappt, wie er sie quer durch den Raum beobachtete. In diesem Moment hatte sie gewusst, dass sie ein Paar werden würden. Hatte sie ihm das ei gentlich jemals erzählt?
Sie hob entschlossen das Kinn. Sie musste sofort aufhören, an die Vergangenheit zu denken, wo sie doch schon mit der Gegen wart nicht zurecht kam.
Sie wartete unbeweglich, während Clay herankam. Er war so betörend männlich. Sie war zwei Jahre nicht bei ihm gewesen, das war eine lange Zeit. Hatte er es irgendwann aufgegeben, auf sie zu warten, und sich eine andere Frau gesucht? Sie stöhnte leise auf. Allein bei der Vorstellung fühlte sie sich hundeelend.
„Mrs. LeGrand, haben Sie Schmerzen?” erkundigte sich die Krankenschwester sofort.
„Nein, es geht mir gut, danke”, murmelte Frankie, ihre Tränen wegblinzelnd. Es musste ihr gut gehen. Sie hatte keine andere Wahl.
Und dann war Clay auch schon bei ihr: Sie suchte seinen Blick, bemühte sich, seine
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