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Das taube Herz

Titel: Das taube Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Urs Richle
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    »Und binden Sie die Hunde an!«, befahl Jean-Louis. Montallier packte seine zwei Köter und kettete sie an die Wand.
    Mit wenigen Handgriffen hatte Jean-Louis die lebensgroße Puppe und das Zimbal vom Holzsockel getrennt. Das Zerlegen für den Transport hatte er vorausgeplant und in die Konstruktion des gesamten Automaten miteinbezogen. Die künstliche Marie Antoinette bekam einen eigenen, mit Stoffen und Stroh ausgestatteten Transportkasten. Das Zimbal wurde ebenfalls als Ganzes verpackt.
Den Holzsockel zerlegte Jean-Louis in die vier Wände und löste den beweglichen Hohlbalken heraus, in welchem Ana lag, ohne sich durch irgendeine Geste bemerkbar zu machen. Jean-Louis befahl den Gehilfen, den Balken mit Tüchern einzuwickeln und ihn mit größter Sorgfalt zu behandeln.
    Noch während Jean-Louis einzelne Stücke der Mechanik auseinanderschraubte, packten die Gehilfen die Teile in kleine und große Kisten, bauten Stützen und Zwischenwände, um jegliche Erschütterung durch den Transport zu verhindern. Die Mägde holten noch mehr Stoff, brachten rohe Schafswolle und rollten ganze Strohballen die Treppe hinunter. Montallier steckte sich eine Pfeife an und beobachtete jeden Handgriff seines Konstrukteurs, als merkte er sich jede einzelne Schraube, jede Mutter und jeden Stift, den Jean-Louis aus dem Automaten löste. Absichtlich hatte Jean-Louis es vermieden, für das Zerlegen und den Wiederaufbau des Automaten Pläne zu zeichnen oder Anweisungen dafür zu notieren. Da ihm die ständige Beobachtung unangenehm war, begann er einzelne Teile herauszumontieren, um sie kurz darauf wieder einzubauen. Montallier reagierte auf diese absurden Gesten nicht, und Jean-Louis war nun sicher, dass die scharfe Beobachtung reiner Bluff war, denn Montallier schien nicht in der Lage zu sein, sich auch nur zwei Arbeitsschritte hintereinander zu merken.
    Mit größter Vorsicht wurden die Kisten die Treppe hochgetragen. Nur den Hohlbalken mit Ana behielt Jean-Louis bis zum Schluss neben sich. Als alle Teile weggeräumt waren, hievten die vier Arbeiter den in weiße Tücher gewickelten Balken wie einen Sarg auf ihre Schultern und
manövrierten ihn die Treppe hinauf. Erschöpft, aber auch erleichtert, schaute Jean-Louis der Prozession hinterher. Dann holte er von der Werkbank ein Bündel, welches er dort bereitgelegt hatte.
    »Was soll das?«, schrie Montallier. »Das bleibt alles hier. Du hast hier nichts mitzunehmen!«
    »Das sind meine Werkzeuge, Herr Montallier. Erinnern Sie sich? Damit bin ich vor ein paar Monaten hier angereist. Und mit diesem Bündel werde ich diesen Ort auch wieder verlassen!«
    Montallier warf ihm einen misstrauischen Blick zu. Dann riss er Jean-Louis das Bündel aus den Händen und kontrollierte den Inhalt. Er kannte ihn nur zu gut. Das waren nichts anderes als die Werkzeuge, mit denen Jean-Louis in Ferney seine Ideen im Geheimen umgesetzt hatte. »Wenn es sein muss!«, schnauzte er abschätzig, warf ihm das Bündel zurück und befahl, die Treppe hochzusteigen.
    Neuneinhalb Monate war es her, dass Jean-Louis dem Orgelbauer Montallier diese Stufen hinuntergefolgt war, ohne zu ahnen, was ihn in diesem Loch erwarten sollte. Neuneinhalb Monate hatte er fünf Meter unter der Stadt Paris in einer Welt aus Puppen, Rädern, Federn und allen möglichen und unmöglichen Konstruktionen aus Holz, Metall, Leder und Stoffen gelebt. Was sich anfänglich als Werkstatt dargeboten hatte, war allmählich zu einem einzigen großen Raum für die Konstruktion eines künstlichen Wesens, zu einer ausufernden Kunstwelt geworden, in welcher Ana und er selbst die entscheidenden Rollen spielten. Nun hoben sie ans Licht, was sich aus diesem Konvolut von Ideen, Stoffen und Mechanismen hatte entwickeln lassen. Die Grande Dame trat aus dem finsteren
Keller der Konstruktion ans Tageslicht der Präsentation, und alle wurden erst einmal so stark geblendet, dass Jean-Louis sich ein Tuch auf die schmerzenden Augen pressen musste.
     
    Die Fahrt mit den zwei Kutschen und dem schwer beladenen Wagen dauerte länger als angekündigt. Montallier mahnte die Kutscher immer wieder zu übertriebener Vorsicht, was mehrere Male zum vollständigen Stopp der ganzen Karawane führte. Unebenheiten der Straße, Löcher, Übergänge mussten ohne die geringste Erschütterung gemeistert werden. Jean-Louis hatten sie zum Schutz seines Augenlichts, aber auch aus Misstrauen, eine Augenbinde umgelegt. Es war ihm egal, wohin sie fuhren. Das Schicksal der Grande Dame

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