Das taube Herz
nachweisen, dass er die Fälschungen für Maître Falquet angefertigt hatte, aber die Gerüchte waren in der kleinen, überschaubaren Genfer Gesellschaft nicht totzukriegen, und er hatte sich auch nie öffentlich dagegen geäussert. Es war ihm egal,
was die Leute dachten und erzählten, er hatte mit seiner gesamten Vergangenheit abgeschlossen. Die Leute redeten über ihn, aber sie redeten über einen anderen, einen Jean-Louis Sovary, den er selbst nicht mehr kannte, an den er sich nicht einmal mehr erinnerte. Aber diese fatalistische, beinahe abgehobene Haltung, sein verschrobenes Einzelgängertum, sein zurückgezogenes Leben in dem kleinen Atelier in der Rue des Etuves hatte die Gerüchteküche rund um seine Vergangenheit als Fälscher und Automatenbauer umso mehr angeheizt. Wo war er gewesen? Was war ihm zugestoßen, nachdem Maître Falquet mit seinen Fälschungen und Betrügereien aufgeflogen und ruiniert worden war? Warum hatte man von Sovary, der im Schatten seines Meisters die eigentlichen Meisterwerke vollbracht haben sollte, nichts mehr gehört? Nicht einmal vor Gericht stellen konnte man ihn. Vom Erdboden verschwunden war er, ohne dass man mit vollständiger Sicherheit hätte sagen können, wer denn verschwunden sei. Fest stand, dass der alte Maître Falquet seinen erstaunlichen Erfolg nicht allein hatte bestreiten können. Und auch wenn Maître Falquet alle möglichen Dokumente zu liefern versuchte, um die Identität seines Angestellten zu beweisen, wer glaubte denn einem professionellen Fälscher und Betrüger? Und so blieb die Frage um den außergewöhnlichen Uhrmacher bei Maître Falquet ein Geheimnis, bis Jean-Louis Sovary sich in Genf niederließ und sich der Reparatur von Komplikationen aller Art annahm.
Das Auftauchen der Rose Blanche im Fenster seiner Boutique hatte sofort die wildesten Spekulationen über die Täterschaft im Hause Falquet und über das darauf folgende Schicksal des Fälschers losgetreten. Aber beweisen konnte
man Jean-Louis Sovary nichts, und das amüsierte ihn auch ein bisschen, das hob ihn, indem man ihn mit dem alten Sovary verwechselte, über ihn selbst hinaus.
»Ich repariere keine Automaten«, sagte Jean-Louis trocken, »ich nehme nur Komplikationen an. In wenigen Fällen auch einfache Taschen- und Pendeluhren. Aber keine Automaten. Tut mir leid.«
Schon oft hatte Jean-Louis solche Anfragen erhalten. Mechanische Singvögel, sich bewegende Tischdekorationen, Puppenspiele auf Pendulen, animierte Bilder und schnatternde, krächzende, sich bewegende Tiere aller Art hatte man ihm gebracht, und er hatte sie alle kategorisch abgelehnt. Jeglicher Versuch, menschliche oder tierische Bewegung und alles Lebendige schlechthin mechanisch nachzubilden, war ihm ein Gräuel. Ein sich bewegender, mit Stoffen bekleideter Holzarm, ein nickender Puppenkopf, sich bewegende Porzellanfinger, hüpfende Drahtfüße, sich öffnende Blechblumen, rollende Glasaugen, das alles löste in Jean-Louis ein Gefühl des Ekels, des Abscheus und der Verachtung aus, ein Gefühl, das schnell in Wut und in einen unwiderstehlichen Drang nach Zerstörung umschlagen konnte.
Und nun stand dieser abscheuliche Ecrivain vor ihm mit diesem kleinkindlichen, bleichen Puppengesicht, den wulstigen Babyfüßen, an einem Tischchen sitzend wie ein Beamter, weder Kind noch Mann, weder Mensch noch Maschine, erhaben jedoch über alles Menschliche durch den Bluff der reinen, gefühls- und willenlosen Mechanik. Eine Ausgeburt der widerlichsten Erfinderphantasien, die weltweit Applaus erntete. Und all dies war die Frucht seines einstigen Meisters Pierre Jaquet-Droz, das Ergebnis
seiner so hochgepriesenen imaginären Kraft, die also, wie die Hirngespinste so vieler anderer Erfinder und Automatenbauer vor ihm, dem Spuk der Nachäffung des Lebendigen verfallen war.
Damit stieg Jean-Louis’ persönlichstes und intimstes Vorbild in den Rang eines Schuldigen ab, in die Masse all jener, die die Mechanik, die Technik und die Wissenschaft über den Menschen stellten und ihn damit endgültig entmündigten. Dieser ewige Wahn, diese trotzige, immer wiederkehrende kollektive Gier nach der Schöpfung des Lebendigen hatte Jean-Louis den einzigen geliebten Menschen seines kurzen Lebens geraubt. Der Traum der Kreation einer menschlichen Maschine war zum Albtraum der Umwandlung eines Menschen in eine Maschine geworden. Und so war auch der Versuch seines einstigen Vorbildes Jaquet-Droz, dem schreibenden Automaten menschliche Züge zu verleihen, so
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