Das Teehaus im Grünen
böse. Sie ist eine liebe alte Frau, aber in gewisser Hinsicht hat sie einen kleinen Stich, vor allem was das Essen und Trinken anbelangt. So etwas erschwert das Leben in einer Pension. Die Inhaber haben mich gebeten, sie binnen vierundzwanzig Stunden woanders unterzubringen. Ihre Köchin hat mit der Kündigung gedroht.«
»Haben Sie denn keine Geschwister?«
»Nein, ich bin der einzige. Und seit sie so ein wenig schwierig geworden ist, gibt’s auch keine Freunde mehr, die ich bitten könnte... Ja, ich muß fort und schauen, wie daheim die Dinge liegen, aber ich hab direkt Angst vor dem Nach-Hause-Kommen.«
Offenbar war alles noch ärger, als er gefürchtet hatte; denn am nächsten Morgen klopfte er mit vielen Entschuldigungen schon vor acht Uhr an ihre Tür.
»Miss O’Brian, wäre es wohl möglich, daß Mutter auf Ihrer Veranda bliebe, solange ich zur Arbeit bin? Es ist so schönes Wetter, sie braucht gar nicht ins Haus zu gehen. Mit einem anderen Gast gab es gestern abend eine Auseinandersetzung, und nun will man sie dort nicht mehr behalten. Wenn sie hier ist, kann sie nichts anstellen, und wenn ich von der Arbeit komme, werde ich für sie eine Bleibe suchen. Macht es Ihnen denn so viel Mühe, wenn sie hier draußen sitzt?«
Wie immer dachte Vicky nicht an die Folgen; sie war voller Hilfsbereitschaft.
»Selbstverständlich kann sie heute hier bleiben, Harry; machen Sie sich nur darüber keine Gedanken! Es ist so ein herrlicher Tag; sie kann auf der Veranda sitzen oder unter den Bäumen. Ich bringe ihr mein kleines Radio und ein paar Zeitschriften. Da ist sie gut aufgehoben, und sie kriegt auch was Gutes zu essen.«
Er war sehr erleichtert, aber auch ein wenig bedrückt. »Tausend Dank, Miss O’Brian! Aber mit dem Essen ist Mutter ein bißchen schwierig. Sie hat was gegen das normale Mehl. Sie bildet sich ein, daß ihr das schadet. Sie hat immer etwas Mehl aus dem Reformhaus bei sich. Das war eines der Probleme, die es in der Pension gab.«
»Ich verstehe. Ich kann ihr leicht ein paar Brötchen oder Kuchen aus dem Mehl backen. Das geht schon in Ordnung, Harry.«
»Ich bin Ihnen schrecklich dankbar, Miss O’Brian! Wenn einer mit ihr umgehen kann, sind Sie es. Sie ist für ein so hübsches Gesicht anfällig.«
Dieses Kompliment des ernsten Mannes tat Vicky überaus wohl. Es sollte keine Schmeichelei sein, sondern eine schlichte Feststellung. Sie lief zu Lucy, die ihren Enthusiasmus freilich keineswegs teilte.
»Das wird eine rechte Plage werden! O Vicky, kannst du nicht einmal ein bißchen vorausdenken?«
»Ich muß mich sehr über dich wundern! Es ist doch nur eine kleine Gefälligkeit! Das konnte ich ihm doch nicht abschlagen. Keiner hat uns soviel geholfen wie Harry. Er brachte seine Leute hierher, die uns unsere Sachen abkaufen. Er hat uns auch noch weitere Gäste geschickt. Es ist wirklich das wenigste, was wir für ihn tun können. Es wird bestimmt ganz glatt gehen.«
»Meinst du? Hat Harry dir von ihrem Spleen erzählt?«
»Freilich. Sie mag keinen Schnaps und kein gewöhnliches Mehl, und sie nimmt Honig zum Süßen statt Zucker.«
Lucy lächelte ein wenig boshaft. »Das ist noch nicht alles. Sie liebt jegliche Kreatur, besonders die Insekten: die Spinnen und die Wespen. Deshalb gab es auch den Ärger in der Pension. Spinnen sind ihre besonderen Lieblinge; sie sperrte sie in eine Schachtel und zeigte sie den anderen Gästen. Sie geriet außer sich, wenn einer die Spinnweben wegfegte. Das hat Harry mir neulich erzählt. Du wirst deine helle Freude haben!«
Vicky war bestürzt. Sie haßte Spinnen und hatte große Angst vor Wespen. »Warum hast du mir das denn nicht erzählt? Und jetzt lachst du auch noch darüber!«
Lucy hatte kein Mitleid. »Nur so. Du wirst ihr schon helfen , irgendwo im Garten das Wespennest zu suchen.« Seit einigen Tagen schwirrte es nämlich nur so von Wespen, die die Zuckerdose und den Marmeladentopf heimsuchten.
Vicky schauderte. Zaghaft erwiderte sie: »Na ja, es ist ja nur für einen Tag.«
»Glaubst du? Da bin ich neugierig! Na, das hast du dir selbst eingebrockt.« Sie mußte aber doch zugeben, daß man Harrys Bitte um ein Asyl für seine Mutter nicht gut abschlagen konnte. »Aber ich möchte wetten, daß es nicht dabei bleibt«, schloß sie ahnungsvoll.
Einstweilen jedoch war Mrs. Kelston überglücklich. Sie redete zwar mit den Gästen und empfahl ihnen, keinen Zucker zu nehmen und kein Backwerk aus gewöhnlichem Mehl zu essen, im übrigen aber störte sie
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