Das Teehaus im Grünen
man dadurch jemandem einen Kummer ersparen kann, wäre es doch egoistisch, wenn man’s nicht tut. So denke ich wenigstens.«
»Sie tun es also auf Kosten Ihres Gewissens? Ich weiß nicht, ob es das wert ist. Sie laufen dabei Gefahr, daß das Schwindeln Ihnen zur zweiten Natur wird.«
»Früher war es bei mir eine reine Angewohnheit. Solange ich klein war, habe ich immerzu gelogen. Ich erinnere mich noch gut, wie ich zum ersten Male dahinterkam, eine wie gute Sache das sei. Das war im Kindergarten. Ein kleines Mädchen hatte den Tisch verschmiert. Die Kindertante zankte, und die Kleine hatte große Angst. Mir machte es nicht soviel aus; deshalb sagte ich, ich sei es gewesen. Von da an hatten mich alle Kinder gern.«
»Und das wollten Sie? Sie wollten geliebt werden?«
»Sehr! Besonders nach Mutters Tod, als ich so allein war.«
»Waren Sie das einzige Kind Ihrer Eltern?« Er wußte so wenig von ihrem bisherigen Leben, und jetzt erzählte sie ihm davon!
Die schweren Zeiten überging sie möglichst; dafür verweilte sie um so länger bei den guten Zeiten. »Und schließlich kam das Allerbeste: Wir kauften dieses Haus, an dem mein ganzes Herz hängt.«
Das war Balsam für ihn, und sie wußte das ganz genau.
Als er gegangen war, meinte Lucy trocken: »Das war wohl die besänftigende Vorbereitung; wann steigt denn aber das große Bittgesuch?«
»Morgen abend. Du brauchst nicht über mich zu lachen, Lucy! Mir graut davor!«
Auf einmal wurde Lucy ernst. Warm sagte sie: »Ich wünschte, du ließest es sein.«
Lucy sprach selten so liebevoll zu ihr, und plötzlich wußte Vicky, daß ihre Freundin ihre Gefühle für diesen Mann erraten hatte. Sie konnte nicht einschlafen, und als Lucy sie um Mitternacht immer noch rumoren hörte, stand sie auf, um einen Tee zu kochen.
»Ich glaube, du arbeitest zuviel. Es paßt gar nicht zu dir, nachts wach zu liegen.«
»Nein, ich bin nicht übermüdet. Du weißt ja: sonst falle ich ins Bett und schlafe bis zum Morgen durch. Ich weiß selbst nicht, warum ich heute nicht schlafen kann.«
Sie plauderten über alles mögliche, und schließlich sagte Lucy: »Mach dir nicht so viele Gedanken! Bring’s hinter dich! Er kann höchstens nein sagen. Er ist doch kein solches Ekel, wie Dan ihn hinstellt.«
Am nächsten Abend schien Seymour guter Laune zu sein. »Wenn das Essen noch nicht fertig ist, gehe ich in den Garten. Ich habe dort etwas zu tun; es dauert nicht lange.«
Vicky war mit der Vorbereitung für ein besonders köstliches Mahl beschäftigt und fragte nicht weiter. Bald darauf hörte man Mrs. Kelston laut schreien: »Nicht doch! Nein, nein! Mörder! Hilfe! Lucy, Vicky! Kommen Sie schnell!«
Sie rannten in den Garten und fanden die alte Dame, wie sie mit aller Kraft Seymours Arm umklammerte. Er hielt eine Spraydose auf einen großen Ameisenhaufen gerichtet, und sie versuchte mit Gewalt, ihn am Sprühen zu hindern.
»Vicky, er darf sie nicht umbringen! Wer sie tötet, ermordet Geschöpfe Gottes! Für alles Leben, das ein Mensch vernichtet, wird er zur Rechenschaft gezogen, und...«
Seymour hatte einen Widerwillen gegen Ameisen; er war fest entschlossen, diesen Ameisenhaufen zu vernichten. Jetzt verlor er die Beherrschung und riß sich los. »Zum Teufel, wissen Sie denn nicht, daß Ameisen Ungeziefer sind? Über kurz oder lang kommen sie ins Haus. Das ist hier schon einmal passiert. Es hilft nur eins: man muß den ganzen Haufen vernichten.«
Aber Mrs. Kelstons Protestschreie wurden nur noch lauter; die Szene spitzte sich zu.
Lucy unterdrückte einen Lachanfall und sagte besänftigend: »Es ist sehr freundlich von Ihnen, daß Sie uns von den Ameisen befreien wollen. Ich kann sie auch nicht ausstehen. Aber vielleicht könnten Sie noch ein wenig warten...« Und Vicky flüsterte ihm zu: »Lassen Sie’s, bis sie fort ist! Es gibt sonst einen furchtbaren Krach.«
Er war enttäuscht und gekränkt. Er hatte den Spray eigens aus der Stadt mitgebracht und war Feuer und Flamme für die gute Tat, die er zu vollbringen gedachte. Diesem alten Weib nachzugeben hielt er für einen groben Fehler. Das war wieder einmal so ein Beispiel für Vickys Friedenspolitik!
Mit ihren lachenden grauen Augen blickte sie ihn bittend an: »Für den Frieden muß man Opfer bringen! Es dauert gewiß nicht mehr lange.«
Er zuckte die Achseln. »Wie Sie wollen. Aber wenn es bald in Ihren Schränken von Ameisen wimmelt, bin ich nicht schuld!« Verdrossen stellte er die Spraydose in seinen Wagen
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