Das Teekomplott - Ostfrieslandkrimi
erneut vor Augen führte, warum er sich immer
häufiger wünschte, niemals Polizist geworden zu sein.
Er starrte sein Gegenüber nach
dessen Ausführungen völlig entgeistert an. Was hatte Jan Scherrmann da gerade
gesagt? Auch sein Assistent Hasenkrug saß mit offenem Mund da und rettete sich
in eine Übersprungshandlung, indem er begann, die vor ihm liegen Büroklammern
zu einer langen Kette zusammenzuhaken.
„Ich würde vorschlagen, Sie gehen
jetzt alle wieder nach Hause und überlegen sich nochmals ganz genau, ob Ihr
Besuch hier eine gute Idee war“, sagte Büttner schließlich in die bedrückende
Stille hinein. „Ich wäre bereit einfach zu vergessen, was ich soeben gehört
habe. Und ich denke, dass es meinem Kollegen genauso geht.“
„Aber ... das geht doch nicht“,
flüsterte Fenna Krayenborg und schüttelte immer wieder ihren Kopf, während sie
ihre faltigen Hände hilfesuchend ihrer Tochter Deike entgegenstreckte, die
blass und übermüdet neben ihr saß.
„Doch, Mama, ich denke, der
Kommissar hat recht“, nickte Deike, während sie die eiskalten Hände ihrer
Mutter in die ihren nahm. „Ich habe dir schon zuhause gesagt, dass du es dir
noch mal genau überlegen sollst. Jetzt siehst du, dass sogar die Polizei der
gleichen Meinung ist. Wäre es denn nicht möglich, dass ... du einfach nur
schlecht geträumt hast? Ich meine, die Vorkommnisse haben dich so aufgewühlt,
dass du vielleicht gar nicht mehr so genau unterscheiden kannst ...“
„Ich bin doch nicht senil“,
antwortete Fenna fast unhörbar, „ich weiß doch, was ich getan habe.“
„Dann erzählen Sie doch noch mal
ganz genau, was sich am Abend, als Ihr Mann starb, zugetragen hat, Frau
Krayenborg. Sie sagten, Sie hätten wie immer gegen 22 Uhr Tee gemacht, den Sie
draußen auf der Terrasse gemeinsam mit Ihrem Mann einnehmen wollten, weil es
ein so herrlich lauer Sommerabend war“, mischte sich Jan Scherrmann ein, der am
frühen Morgen von Deike gebeten worden war, sofort zu ihrer Mutter zu kommen
und mit ihr als anwaltlicher Berater zur Polizei zu fahren, da sie entgegen
ihrer Empfehlung eine Aussage machen wolle.
„Ja, genau“, begann Fenna mit
zitternder Stimme, „Lübbo ... er war wieder ganz aufgebracht, weil ... ach, es
war einfach meine Schuld, ich hatte mich mit meiner Schwester Okka am Telefon
verquatscht. Ja, er hatte ja recht, mich zu schlagen, weil ich darüber den Tee
vergessen hatte. Es war ja schon zehn Uhr durch, als ich das Wasser aufgesetzt
habe. Zehn Minuten zu spät, war es, das darf natürlich nicht passieren. Kein
Wunder, dass er da böse geworden ist.“
Büttner musste bei der
Vorstellung, wie diese arme alte Frau von ihrem Ehemann wegen zehn Minuten
Zeitverzugs geprügelt wurde, tief durchatmen. Er musste die Ruhe bewahren und
ihr zuhören. Auch wenn er es nicht wollte. Am liebsten hätte er sie
unterbrochen und ohne Umschweife nach Hause geschickt. Aber damit hätte er
womöglich nur erreicht, dass sie sich jemand anderem anvertraute, und das
durfte auf keinen Fall passieren. Er räusperte sich vernehmlich und sagte dann:
„Kein Mann dieser Welt hat das Recht, seine Frau zu verprügeln, weil sie den
Tee zu spät auf den Tisch stellt, Frau Krayenborg. Keine Mann der Welt hat
überhaupt irgendein Recht, seine Frau zu verprügeln, aus welchem Grund auch
immer.“
Fenna sah ihn aus ausdruckslosen
Augen sekundenlang nur an, dann fuhr sie fort: „Doch, doch, er hatte ja recht,
ich hatte ihn so schwer getäuscht, damals, als ich mit Kirsten schwanger war.
Das hätte ich nicht tun dürfen, aber ich ...“
„Er hatte kein Recht, Sie zu
schlagen, Frau Krayenborg“, wiederholte Büttner. „Aber fahren Sie ruhig fort.
Sie hatten an diesem Abend Tee gemacht.“
„Ja, er hat mich geschlagen und
dann ... bestimmt war es keine Absicht, er wollte bestimmt nur den Tee
aufgießen, weil ich es ja nicht richtig gemacht habe. Und da ist ihm irgendwie
die Kanne weggerutscht und ... ich stand da wohl irgendwie im Weg, weil ... das
kochende Wasser lief dann über mein Bein, und das tat so schrecklich weh ...“
„Dieses Ungeheuer hat dich mit
dem Teewasser verbrüht?“, schrie Deike entsetzt auf. „Er hat dich tatsächlich
...“ Sie spürte, wie ihr vor lauter Wut die Tränen in die Augen stiegen. Jan
Scherrmann legte ihr besänftigend die Hand auf den Arm.
„Was passierte dann, Frau
Krayenborg?“, fragte er leise. Er hatte Büttners Strategie verstanden und
nickte ihm fast unmerklich zu. Als er mit Fenna und
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