Das Teekomplott - Ostfrieslandkrimi
diesen umhängen kann.“ Luise war während dieser kurzen Ansprache die
Leiter hinuntergeklettert, streckte ihrer Freundin nun die Hand entgegen und
zog sie wieder auf die Füße. „Komm“, sagte sie, „jetzt trinken wir einen
schönen Kaffee mit Cognac auf deine Mutter. Sie hat es sich redlich verdient.“
Bevor die beiden Frauen die
Stufen zum Haus hinaufgingen, blieb Luise kurz stehen und sah ihrer Freundin in
die Augen. „Aber eine Frage hätte ich noch.“
„Ja?“
„Hat sie auch gesagt, wer den
Rest der Bagage auf dem Gewissen hat?“
„Nee. Sie sagt, sie wüsste es
nicht.“
„Schade“, zuckte Luise in
gespielter Enttäuschung mit den Schultern, „ich hätte gerne auf jeden von ihnen
einen Cognac getrunken.“
Mit einem befreienden Lachen
verschwanden die Freundinnen im Haus.
29
Der Herbst war da. Missmutig
betrachtete Hauptkommissar David Büttner seine Schuhe, in die soeben, beim
unbeabsichtigten Tritt in eine tiefe Pfütze, das Wasser eingedrungen war. Seit
mehreren Wochen nun verbrachte er mehr Zeit in dem kleinen Dorf Canhusen als
zuhause oder gar auf dem Polizeirevier. Anfangs hatte er noch gedacht, der
Todesfall Lübbo Krayenborg sei in Windeseile aufgeklärt und zu den Akten
gelegt. Dass dieser kleine Flecken Erde zum Schauplatz einer brutalen Mordserie
werden würde, damit war einfach nicht zu rechnen gewesen. Vier von 170
Einwohnern waren innerhalb kürzester Zeit einem Verbrechen zum Opfer gefallen.
Und ausgerechnet ihm fielen sie vor die Füße. Vier von 170. Das waren mehr als
zwei Prozent der Gesamtbevölkerung. Wenn ein Verbrechen gleichen Ausmaßes,
relativ gesehen, in Hamburg geschehen wäre, wären dort jetzt 36.000 Menschen
tot. Das hatte sich Büttner in der letzten, mal wieder schlaflosen Nacht
ausgerechnet und dann prompt eine Migräne bekommen. 36.000 Menschen tot! Man
stelle sich das mal vor! hatte er am Morgen am Frühstückstisch völlig
gerädert zu seiner Frau gesagt, aber die hatte nur mit großen Augen gefragt Wo? Klar, was hätte sie auch anderes fragen sollen. Und nun stand er hier, mit
immer noch brummendem Schädel, und hatte nasse Füße.
Das schlimmste aber war, dass er
es augenscheinlich mit mehr als einem Mörder zu tun hatte – wenn das, was Fenna
Krayenborg ausgesagt hatte, stimmte. Und davon war auszugehen. Er hätte es sich
ja gleich denken können, Frauen mordeten eigentlich immer mit Gift. Sie
mordeten nicht wirklich oft, verglichen mit den Männern. Aber wenn sie dann mal
die Schnauze voll von jemandem hatten, dann brachten sie ihn mit Gift um die
Ecke, still und leise und ohne viel Dreck. Fenna also hatte ihren Gatten auf
dem Gewissen. Und die anderen drei? Im Prinzip hatte Fennas Aussage ihn nicht
viel weitergebracht. Im Gegenteil musste er jetzt die Möglichkeit in Betracht
ziehen, dass er es mit vier unterschiedlichen Mördern zu tun hatte. Und das war
ja nun ein Gedanke, der ihm überhaupt nicht gefiel.
Seit nunmehr einer Woche warteten
sie darauf, den einzig Überlebenden der Altherrenriege, Rudolf Lampe, vernehmen
zu können. Aber in den ersten drei Tagen nach dem Tod von Menno Buurmann war
der noch völlig neben der Spur gewesen und hatte nur wirres Zeug vor sich
hingeplappert. In den nächsten Tagen dann war er zwar wieder einigermaßen bei
Verstand gewesen, sein Arzt aber hatte ihn nicht zur Vernehmung freigegeben. Er
müsse sich erst erholen, hatte es geheißen. Am heutigen Tag aber sollte es
endlich soweit sein. Sie hatten grünes Licht für eine erste kurze Befragung.
Als Büttner an der Tür zu Lampes
Haus klingelte, öffnete ihm eine ältere Frau und sah ihn aus tief liegenden
Augen müde an. „Ja, bitte?“
„Hauptkommissar David Büttner“,
stellte er sich vor und zog seine Polizeimarke, „das hier neben mir ist mein
Kollege Sebastian Hasenkrug.“
„Ach ja“, sagte die alte Frau mit
leiser Stimme, „Dr. Gerber hat schon gesagt, dass Sie kommen. Ich bin Rudolfs
Frau.“
„Wie geht es Ihrem Mann?“, fragte
Büttner auf dem Weg zu dessen Schlafzimmer.
Anstelle einer Antwort fing Frau
Lampe an zu weinen und zog ein kleines, besticktes Stofftaschentuch aus ihrer
Strickweste. „Es ... hat ihn alles so mitgenommen“, schluchzte sie, „er sagt
dauernd, dass er auch ... tot sein will, genau wie seine armen Freunde.“
„So arm waren seine Freunde gar
nicht, nach allem, was man im Dorf so über sie hört“, sagte Büttner mitleidlos.
„Eigentlich waren sie sogar eher von der üblen Sorte. Oder sind Sie da
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