Das Testament der Götter
der Kaserne zusammen. »Weichlinge verdienen kein besseres Geschick.« Ein Bogenschütze trat aus den Reihen. »Er hatte keinen Fehler begangen, Heerführer.«
»Du, du redest zuviel; verlaß augenblicklich die Übung. Fünfzehn Tage verschärfte Haft und ein langer Aufenthalt in der Feste des Südens werden dich Zucht und Gehorsam lehren.« Der Heerführer befahl der Schar einen einstündigen Lauf mit Bogen, Köchern, Schilden und Vorratsbeuteln; falls sie ins Feld zögen, würden ihnen rauhere Bedingungen begegnen. Wenn einer der Krieger erschöpft innehielt, zog er ihn an den Haaren und zwang ihn, sich schnellstens wieder einzugliedern. Die Rückfälligen sollten im Kerker verkümmern. Ascher hatte genügend Erfahrung, um zu wissen, daß allein eine unerbittliche Ausbildung zum Sieg führte; jedes durchgestandene Leiden, jede beherrschte Bewegung verschaffte dem Streiter eine zusätzliche Aussicht zu überleben. Nach einer reichlich erfüllten Laufbahn auf den Schlachtfeldern Asiens war Ascher, ein Held aufsehenerregender Großtaten, zum Verwalter der Pferde, Vorsteher der Jungkrieger und Ausbilder in der Hauptkaserne von Memphis ernannt worden. Mit grimmigem Vergnügen huldigte er diesem Amt ein letztes Mal; seine kürzliche Ernennung, die am Vortag öffentlich bekanntgemacht worden war, würde ihn in Zukunft von dieser Mühsal befreien. In seiner Eigenschaft als PHARAOS Abgesandter für fremde Länder würde er die königlichen Befehle den an den Grenzen aufgestellten Sonderverbänden übermitteln, könnte Seiner Hoheit als Wagenlenker dienen und die Stellung des Bannerträgers zu dessen Rechten einnehmen. Ascher war kleingewachsen und besaß ein unangenehmes Äußeres: kurzgeschorenes Haupthaar, mit schwarzen, starren Haaren bedeckte Schultern, breiter Brustkorb, kurze muskulöse Beine. Eine Narbe lief quer über seine Brust, von der Schulter bis zum Nabel, das Andenken einer Klinge, die ihm fast das Leben verkürzt hätte. Von einem nicht zu erstickenden Gelächter geschüttelt, hatte er seinen damaligen Angreifer mit bloßen Händen erwürgt. Sein von Falten zerfurchtes Gesicht glich dem eines Nagetiers. Nach diesem allerletzten Morgen in seiner bevorzugten Kaserne dachte Ascher bereits an das zu seinen Ehren ausgerichtete Festmahl. Er wandte sich gerade zu den Schwallbadsälen, als ein Verbindungsoffizier ihn mit aller gebührenden Höflichkeit ansprach. »Verzeiht mir, Euch zu belästigen, Heerführer; ein Richter wünscht Euch zu sprechen.«
»Wer ist es?«
»Nie gesehen.«
»Weist ihn höflich ab.«
»Er gibt vor, es sei dringend und ernst.«
»Der Grund?«
»Vertraulich. Betrifft nur Euch.«
»Führt ihn her.«
Paser wurde in die Mitte des Hofes gebracht, wo der Heerführer, die Hände hinterm Rücken verschränkt, breitbeinig seiner harrte. Zu seiner Linken ertüchtigten sich Jungkrieger bei Kräftigungsübungen; zu seiner Rechten wurde Bogenschießen erlernt. »Euer Name?«
»Paser.«
»Ich verabscheue Richter.«
»Was werft Ihr ihnen vor?«
»Sie stöbern überall herum.«
»Ich untersuche eine Vermißtenangelegenheit.«
»Ausgeschlossen bei den Verbänden, die unter meinem Befehl stehen.«
»Selbst bei der Ehrenwache des Sphinx?«
»Heer bleibt Heer, selbst wenn es sich um seine Altgedienten kümmert. Die Bewachung des Sphinx ist ohne Fehl erfüllt worden.«
»Seiner Gattin zufolge soll der ehemalige Oberaufseher tot sein; gleichwohl verlangt die Führung von mir, seine Versetzung von Rechts wegen zu bestätigen.«
»Nun denn, bestätigt sie! Man ficht die Weisungen der Führung nicht an.«
»In dem vorliegenden Fall doch.« Der Heerführer brüllte auf.
»Ihr seid jung und unerfahren. Macht Euch davon.«
»Ich stehe nicht unter Eurem Befehl, Heerführer, und ich will die Wahrheit über diesen Oberaufseher wissen. Ihr wart es doch, der ihn in diese Stellung berufen hat?«
»Gebt gut acht, kleiner Richter: Man belästigt Heerführer Ascher nicht!«
»Ihr steht nicht über dem Gesetz.«
»Ihr wißt nicht, wer ich bin. Ein falscher Schritt mehr, und ich zerquetsche Euch wie Ungeziefer.« Ascher ließ Paser mitten auf dem Hof zurück. Seine heftige Regung überraschte den Richter; weshalb führte er sich so auf, wenn er sich doch nichts vorzuwerfen hatte?
Als Paser darauf durch die Pforte der Kaserne schritt, rief der mit Strafhaft belegte Bogenschütze ihn an.
»Richter Paser …«
»Was wollt Ihr?«
»Vielleicht kann ich Euch helfen; wonach sucht Ihr?«
»Ich benötige
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