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Das Testament der Jessie Lamb: Roman

Das Testament der Jessie Lamb: Roman

Titel: Das Testament der Jessie Lamb: Roman
Autoren: Jane Rogers , Norbert Stöbe
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kommt und sagt: »Ach Gott, es tut mir ja so leid, Jessie. Ich nehme dir jetzt die blöden Schlösser ab.« Ich warte noch immer darauf, dass er einsieht, wie bescheuert das ist. Heute wird er bestimmt aufgeben.
    Ja! Die Sonne scheint auf die Zypressenwipfel, ein fantastisches rötlich orangen-grünes Leuchten vor dem Hintergrund des purpurroten Himmels. Gebannt schaue ich zu, wie der Himmel allmählich hell wird, der Sonnenschein ein blasses Weiß annimmt und alles gewöhnlich macht. Ich schwenke die Arme auf und ab und bewege die Schultern, um die steifen Muskeln zu lockern. Heute wird meine Gefangenschaft bestimmt enden.
    Nachdem Baz mir mitgeteilt hatte, dass er bei YOFI aussteigen wolle, entschloss auch ich mich, dort aufzuhören. Die Blase platzte. Ich weiß noch, dass ich auf meinem Zimmer saß und das Gefühl hatte, mein ganzes Leben liege in Trümmern. Weshalb versuchte ich, Mum und Dad dazu zu bewegen, ihre Salatreste zu kompostieren und aufs Fliegen zu verzichten? Was konnte man damit schon bewirken? Die Grünen kämpfen schon seit Jahren, das wusste ich sehr wohl, aber was haben sie damit erreicht? Wie kam ich dann auf die Idee, ein Haufen Kids unter der Führung eines Perversen wie Iain könnte die Welt verändern? Alles, wofür ich mich eingesetzt hatte und woran ich glaubte, zerbröselte zu Staub, und alles kam mir sinnlos vor.
    Ich erinnere mich, dass ich zu der Zeit ans Sterben dachte, freilich auf eine kindische, zornige Art und Weise. Da alles den Bach runterging und man nichts daran ändern konnte, wäre es ausgesprochen ökologisch, wenn alle sterben würden. Dann würden sie wenigstens keine Ressourcen mehr verschwenden. Ich wünschte mir, ich wäre tot. Ich dachte daran, wie Iain sich an mich angeschlichen hatte, dachte an seinen heißen Atem in meinem Nacken, und das machte mich rasend. Was hatte er sich nur dabei gedacht? Und dann zu sagen »keine gute Idee« – als wenn ich ihn dazu eingeladen hätte! Ich sollte zur Polizei gehen. Vielleicht versuchte er das ja auch bei Jüngeren?
    Ich schleuderte meine Sachen durchs Zimmer und zerbrach dabei die Eulenmaske aus Ton, die Mandy mir zu meinem zehnten Geburtstag geschenkt hatte. Sie zerschellte in tausend Scherben, da war nichts mehr zu kitten.
    Ich ärgerte mich über die Zeitverschwendung. Aber wenn all das nicht gewesen wäre – die Versammlungen und Diskussionen, die Petitionen und Demonstrationen, die am Computer verbrachten Stunden –, wenn ich all das nicht in gutem Glauben getan hätte und am Ende total frustriert gewesen wäre, dann wäre ich vielleicht nicht darauf gekommen, wie es weitergehen sollte. Dann wäre mir nie die elektrisierende Erkenntnis gekommen, dass wir etwas ändern können – vielleicht hätte ich nicht einmal mehr danach gesucht.
    Es ist jetzt so hell, dass ich zum Tisch und zum Stuhl kriechen und schreiben kann. Aber ich will das nicht alles wieder durchkauen, meine Gefühle beim Abschied von YOFI – ich kam mir schuldig und dumm vor, hinters Licht geführt. Ich sagte mir, nur ein Idiot könne davon träumen, etwas zu verändern. Ich war wütend auf alles und jeden. Auf die dämliche YOFI . Auf Iain. Auf mich selbst. Ich wünschte mir, ich wäre ein Riese, könnte quer durch die Stadt stampfen und all die kleinen Häuschen in Trümmer legen.
    Er klopfte an die Tür. Er hat mich eingeschlossen, aber er klopft an! »Jess?«
    »Ja?«
    Er macht nicht auf, redet durchs Holz hindurch. »Bitte entschuldige. Was möchtest du zum Frühstück?«
    Ich überlege. »Ein weiches Ei von einem frei laufenden Huhn. Braunen Toast und Pflaumenmus.«
    »Tee?«
    »Ein Glas Milch.«
    »Ist gut.«
    Ich höre, wie er nach unten geht. Und das Haus verlässt. Ach Gott, ich fühle mich viel freier, wenn er nicht da ist. Und freue mich aufs Frühstück. Aber wenn er vorhätte, mich freizulassen, würde er nicht einkaufen fahren. Im Gegenteil. Er versucht, mich gefügig zu machen – mich mit Essen zu bestechen. Na schön: Wir werden ja sehen, ob er damit Erfolg hat!
    Kurz nach meinem Ausscheiden bei YOFI passierte Sal das Unglück. Jetzt ist mir klar, dass es für mich eine ebenso große Bedeutung hatte wie für sie. Doch es lenkte mich in die eine Richtung und sie in die andere. Wir schlugen entgegengesetzte Wege ein, aus Freundschaft wurde Gegnerschaft. Ach, Sal. Das Unglück brachte mich auf die Bahn, die mich hierhergeführt hat.

8
    Es war Freitagabend , und ich schlief schon tief und fest, als mein Handy klingelte. Sal war dran,
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