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Das Testament der Jessie Lamb: Roman

Das Testament der Jessie Lamb: Roman

Titel: Das Testament der Jessie Lamb: Roman
Autoren: Jane Rogers , Norbert Stöbe
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ist, werden sich die meisten Frauen dafür entscheiden, überhaupt kein Kind zu bekommen. Die Experten sagten voraus, dass die Bevölkerungszahl gegen null gehen werde.
    Dad irrte sich natürlich, als er meinte, nach der Welle von Geburten werde es keine Schwangerschaften mehr geben. Denn als klar war, dass Schlafende Schöne tatsächlich Kinder zur Welt bringen konnten und dass sie bis auf die im Hintergrund wartende MTS -Erkrankung, die sowieso jeder hatte, gesund waren, meldeten sich eine Menge Mädchen als Freiwillige. Schon damals war klar, was sie antrieb. Sie folgten Ursula Johnsons Beispiel. Sie taten es für ihren Mann, ihre Familie oder ihre Religion. Sie taten es für die Zukunft. Konnte ein Mensch mehr aus seinem Leben machen?
    Aber die Menschen regten sich natürlich auf und erhoben Einwände, wie sie es immer tun, wenn jemand etwas Positives tut. »Die Mädchen, die sich freiwillig melden, sind zu jung, um eine solche Entscheidung zu treffen, bla, bla, bla.« Oder: »Das Programm ist zu teuer, die Familien sollten die lebenserhaltenden Maßnahmen für die Schlafenden Schönen aus eigener Tasche bezahlen.« Oder zur Abwechslung mal das Gegenteil; die Familie sollte eine Entschädigung für die Selbstaufopferung der Frau bekommen, und solange das nicht geregelt sei, sollte kein Mädchen sich mehr freiwillig melden. Okay, es gibt schlimme Dinge, wie in China, wo Eltern ihre Töchter an die Kliniken verkaufen – okay –, aber soll wirklich nichts Neues mehr passieren, nur weil es auch negative Entwicklungen gibt? Bedeutet das nicht ewigen Stillstand?
    Dass wieder Babys zur Welt kommen konnten, löste einen Energieschub aus, der die ganze Welt erfasste – auch wenn es traurig war, hatte es doch sein Gutes. Ich wusste, die Welt würde anders aussehen, wenn die Kinder heranwüchsen, denn die Bevölkerung wäre dann viel kleiner. Dann sähe vieles womöglich schon wieder besser aus. Ich stellte den Wecker auf 5.30 Uhr, damit ich mehr erledigt bekäme. Wir versuchten, weitere Kids dazu zu bewegen, sich uns anzuschließen – ich hatte den Traum, eines Tages würden alle unter zwanzig zu uns gehören, und dann könnten wir die alte Lebensweise des Konsumierens, Verderbens und Verschwendens einfach abschaffen. Die Welt würde sich so schnell verändern, dass man eine Überraschung nach der anderen erleben würde!
    Nach der Manchester-Demo bot man YOFI einen großen alten Pub an, den Rising Sun , den wir in ein Zentrum umwandeln wollten, in dem Lisa und Gabe und die anderen mutterlosen Kinder würden wohnen können. Ich half beim Ausräumen. Lisa und Gabe hatten in einem der Schlafzimmer ihre Schlafsäcke ausgerollt und arbeiteten im Nebenraum, der ihnen gehören sollte, wenn sie fertig wären. Andere Kids lösten unten die Tapeten von den Wänden und rissen die Sitzbänke heraus. Sie hatten Musik laufen, es war laut dort unten, und es wurde quer durch den Raum gerufen. Ich fragte Lisa, ob ich ihr oben helfen könne, und sie reichte mir einen Eimer mit weißer Farbe und bat mich, das Holz zu streichen. Vom Tabakqualm war alles braun. Der Boden war bedeckt mit Tapetenfetzen. Ich kroch auf allen vieren umher und räumte den Boden an den Fußleisten frei.
    »Du und Gabe, wohnt ihr jetzt hier?«
    Sie nickte.
    »Was meint dein Dad dazu?«
    »Mein Dad ist Alkoholiker«, erwiderte Lisa.
    »Oh.«
    »Er kann sich nicht so gut um uns Kinder kümmern, und der Witz ist, das weiß er auch selbst. Ich habe mich um ihn gekümmert.« Wir schwiegen eine Weile, und man hörte nur das Geräusch unserer wischenden, klatschenden Bürsten, die Musik und die hohlen Stimmen von unten.
    »Anfangs hab ich mich mies gefühlt«, sagte sie unvermittelt. »Ihn so allein zu lassen. Aber Gabe und ich müssen überleben. Und jetzt denke ich einfach, er ist halt krank. Viele Erwachsene sind das. Ich meine, wenn sie nicht trinken, nehmen sie Drogen oder Medikamente oder kleben an ihrer beschissenen Routine. Deshalb bringen sich auch so viele von ihnen um. Sie können sich nicht verändern.«
    Ich dachte an Mum und Dad und ihren Pauschalurlaub. »Die Generation unserer Eltern ist komplett verrückt.«
    »Verrückt und nutzlos. Ohne sie ist die Welt besser dran.«
    »Aber es ist schwer für dich, wenn du dich auch noch um Gabe kümmern musst.«
    »Gabe kommt alleine klar. Außerdem ist es nicht schwer, sich um jemanden zu kümmern.«
    »Ich habe das nie tun müssen.«
    »Verantwortung zu übernehmen ist leicht. So infantilisieren sie uns. Sie reden
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