Das Testament der Jessie Lamb: Roman
Rechteck, das wohl ein Schwimmbecken war. Als wir höher stiegen, ging die Stadt in flaches Land über, und statt des Lichtermeers sah man nur noch einzelne helle Linien, die sich durch die Dunkelheit zogen. Als wir wieder eine Stadt überflogen, machte ich fahrende Autos auf einer Straße aus. Und mitten in den Lichtern der Stadt auf einmal einen Flecken Dunkelheit. Ich starrte ihn an, fragte mich, ob das ein Park sei, und wunderte mich, dass die Lichter drum herum kein Muster bildeten, sondern völlig ungeordnet endeten. Als gäbe es dort ein gähnendes schwarzes Loch, das ganze Straßenzüge verschluckt hatte.
Dann wurde es am oberen Rand der Sichtluke allmählich hell. Und als der silbrige Lichtschimmer intensiver wurde, konnte ich erkennen, dass er von einem großen, leuchtenden Ballon stammte, der tausendmal größer und heller war als alles, was es auf der Erde gibt. Weißt du, was das war, Rae? Der Mond! Und im Mondschein, der den ganzen Himmel erfüllte, sah ich hier und da schwarze Wolkengebilde, die zwischen uns und dem Erdboden schwebten. Das waren blinde Flecken im Licht. Während wir dahinflogen, waren ständig Lichtpünktchen am Boden zu sehen, die verschwanden, wenn eine Wolke dazwischentrat, und wieder auftauchten, wenn wir ein Stück weitergeflogen waren.
Damals war ich glücklich, Ray. Voll zärtlicher Gefühle für die unschuldige, schlafende Erde. Die dunklen Hügel und Täler und Staubecken und Seen waren alle an ihrem Platz, trennten die Lichtflecken des einen Dorfes um so und so viele Meilen von dem nächsten, fixierten jedes einzelne leuchtende Haus auf exakt seiner Länge und Breite. Und ich wusste, dass auch der Mondschein beständig war, dass einmal im Monat zur rechten Zeit der Vollmond aufgehen und über den Himmel rollen und wieder abnehmen würde, bis nur noch eine schmale Sichel übrig bliebe.
Dann begann der Sinkflug, und ich hatte das Dröhnen der Triebwerke in den Ohren, und auf einmal war der Boden ganz nah, als wir den Rand der Landebahn überflogen und zur Landung ansetzten. Und ich hörte auf zu denken, denn ich war am Ziel.
Ich wünsche dir alles erdenklich Gute, mein Ray, vor allem aber wünsche ich dir, dass auch du eines Tages einen solchen Frieden und ein solches Glück verspüren mögest wie ich in diesem Moment, da ich dich grüße.
Xxx, tausend Küsse, Jessie
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