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Das Testament der Jessie Lamb: Roman

Das Testament der Jessie Lamb: Roman

Titel: Das Testament der Jessie Lamb: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Rogers , Norbert Stöbe
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Doch er schwieg und sagte auch dann kein Wort, als ich ihm Guten Tag sagte. Jemand hantierte in der Küche, doch ich wusste nicht, ob es Baz war oder seine Mum, und es schien mir das Beste, mich unbemerkt davonzumachen.
    Es war ein ausgesprochen merkwürdiger Tag, denn nach einer Weile kam es mir so vor, als hätte ich alles nur geträumt. Dass er mir zugehört, für mich gespielt hatte und dass ich geschlafen und getröstet aufgewacht war. Ich hätte diesen Seelenfrieden gern auf Sal übertragen – aber das ging nicht. Ich konnte ihr nicht helfen.

9
    Ich simste Sal immer wieder an, doch die einzige Ant wort, die sie mir schickte, war »x«. Als ich ihre Mum an rief, meinte sie, Sal fühle sich nicht gut und liege im Bett. Ich war mir ziemlich sicher, dass ihre Mum nicht wusste, was passiert war. Ich überlegte gerade, ob ich es ihr sagen sollte, da schickte Sal mir endlich eine Nachricht: »Kommst du mit zu Fr-Protestvers? Do um 8 xS«.
    Wir trafen uns an der Bushaltestelle. Sie hatte sich unter einer dicken Schicht Make-up versteckt, und als ich mich erkundigte, wie es ihr gehe, antwortete sie kurz angebunden: »Prima. Red nicht drüber.« Und so plapperte ich vom College daher. Sie hatte durch eine Freundin ihrer Mutter von der Gruppe erfahren; die Frauen nannten sich FLAME , Feminist Link Against Men – Feministische Liga gegen Männer. Sie trafen sich in Glossop in einem großen Haus, in dem eine Frauengruppe wohnte. Der Wohnraum erinnerte an ein Wartezimmer, denn Stühle und Sofas hatte man an die Wände gerückt. Es waren etwa zwanzig Frauen gekommen. Alle waren älter als ich und eine vielleicht sogar älter als Mum. Alle wirkten ein bisschen hippiemäßig mit ihren Schichten von alten Klamotten und ihren eingelaufenen Strickjacken oder Ponchos. Ich hätte auch gern eine Schicht mehr getragen, denn es war eiskalt.
    Verglichen mit YOFI ging es hier eher ernsthaft zu. Das Ganze hatte etwas Lebloses. Die Frau, welche die Versammlung leitete, hieß Gina. Sie war schlagfertig und energisch und lächelte kein einziges Mal. Sie sprach über den Krieg gegen Frauen. Sie sagte, die Entwicklung von MTS sei die logische Folge der mehrtausendjährigen Unterdrückung und des Missbrauchs durch die Männer. Männer hätten einen Abscheu vor der weiblichen Sexualität und neideten der Mutter ihre Beziehung zum Ungeborenen. Deshalb wollten sie Jungfrauen heiraten und die Unterwürfigkeit der Frauen bewahren, denn sie könnten sich nie sicher sein, dass das Kind auch von ihnen wäre. Und die Frauen seien nur der Besitz der Männer gewesen, und nur Männer könnten erben, und niemand wolle Töchter haben. Millionen von weiblichen Babys würden getötet oder abgetrieben. Dann kam sie wieder aufs Kinderkriegen zu sprechen. Früher hätten ihnen weise Frauen bei der Geburt geholfen, doch die Männer hätten die Hebammen als Hexen verteufelt und auf männlichen Ärzten bestanden. Und weil manche Frauen nicht schwanger werden konnten, hätten männliche Wissenschaftler Methoden entwickelt, um Babys außerhalb des weiblichen Körpers zu zeugen. Das wäre seit jeher ihr Ziel gewesen, denn sie wollten, dass das Geheimnis und die Macht, Kinder zu zeugen, ganz ihnen gehörte. Sie sprach von den ersten Reagenzglasbabys und meinte, Männer hätten die Kontrolle über den Zeugungsvorgang an sich gerissen und aus Frauen passive Kühe gemacht. »Der Rinderwahnsinn ist kein Irrtum, das könnt ihr mir glauben, denn genau das sind wir für sie.« Sie bezeichnete MTS als die Atombombe des Geschlechterkriegs. »Indem sie die Schwangerschaft in ein Todesurteil verwandeln, rauben sie sie uns für immer. Jetzt können sie behaupten, es gäbe keine andere Möglichkeit als das vom Mann erzeugte Kind.«
    Ich blickte Sal an, doch sie ließ sich kein Wort des Vortrags entgehen. Eine andere Frau sprach über Sex und erklärte, Männer hätten lieber Sex mit ihresgleichen, wären aber gezwungen, Sex mit Frauen zu haben, wenn sie Kinder zeugen wollten. Sie sagte, das sei der wahre Ursprung der religiösen Gesetze gegen Homosexualität, denn es liege im Interesse der Religion, dass möglichst viele Kinder geboren würden, welche den Glauben weiter verbreiten könnten. Jetzt aber sei die sexuelle Reproduktion am Ende, die alten Verbote der Homosexualität lösten sich auf, und Millionen Männer würden ihr Coming-out haben.
    Andere Frauen meldeten sich zu Wort und beklagten sich, die Männer würden sie wegen der Krankheit wie Aussätzige behandeln. Sal

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