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Das Testament der Jessie Lamb: Roman

Das Testament der Jessie Lamb: Roman

Titel: Das Testament der Jessie Lamb: Roman
Autoren: Jane Rogers , Norbert Stöbe
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doch sie sagte nichts. Ich hörte nur das Geräusch ihrer eiligen Schritte, ferne, gedämpfte Musik und Stimmen. Ich nahm an, das Handy habe sich versehentlich eingeschaltet. Es war halb zwei, deshalb versuchte ich, wieder einzuschlafen. Zehn Minuten später war ich immer noch hellwach. Ich hatte keine Ahnung, was sie machte. Offenbar war sie mit Damien unterwegs – vielleicht war sie mit ihm und seinen Kumpeln einen trinken gegangen. Bestimmt war ihr sterbenslangweilig. Ich beschloss, sie zurückzurufen. Beim ersten Mal ging sie nicht ran, deshalb versuchte ich es ein paar Minuten später erneut. Ihr Handy klingelte achtmal, bevor sich die Mailbox einschaltete, aber beim achten Mal meldete sie sich. »Sal, ich bin’s.«
    Jetzt war es so still bei ihr, dass ich ihren Atem hörte. Es klang so, als schnappte sie nach Luft.
    »Sal? Ist alles in Ordnung?« Dann merkte ich, dass sie weinte. »Wo steckst du?«
    »Kannst du herkommen?«, krächzte sie. »Ich bin zu Hause.«
    Da wusste ich, etwas Schlimmes war geschehen. Normalerweise weinte Sal nicht. Ich zog mich an und rannte über die menschenleere Straße zu ihrem Haus. Das Licht in der Diele war an, und als ich die Tür erreicht hatte, ließ sie mich ein und schloss hinter mir gleich wieder ab. Sie war klitschenass. Sie trug einen Bademantel, doch sie tropfte und zitterte. Ihr Gesicht sah furchtbar aus, nicht nur wegen der verschmierten Wimperntusche; sie blutete an der Unterlippe und hatte an der einen Wange einen bläulich roten Bluterguss. Ich ging ins Wohnzimmer und holte das Schultertuch, das über der Rückenlehne des Sofas lag. Es herrschte ein heilloses Durcheinander. Bierdosen, Aschenbecher und Fast-Food-Verpackungen lagen herum, die Möbel waren verrückt, auf dem Teppich hatte man Drinks ausgeschüttet. Sammy winselte in der Küche, und ich ließ ihn raus. Er lief zu Sal, doch sie stieß ihn weg. »Wo ist deine Mum? Sal?«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »War das Damien?«
    »Seine Kumpel«, flüsterte sie.
    »Seine Kumpel? Hier?«
    Sie nickte.
    »Soll ich die Polizei rufen?«
    »Nein.« Sie rang wieder nach Atem. »Sie haben mich vergewaltigt.«
    »Sie …?«
    »Drei von ihnen. Die … die anderen haben zugeguckt.«
    »Warum bist du nass?« Eine dumme Frage, aber etwas Besseres fiel mir nicht ein.
    »Ich war im Bad …« Sie brach wieder in Tränen aus.
    »Sollen wir nach oben gehen?«, fragte ich. »Soll ich dir helfen, Sal?« Ich brachte sie nach oben ins Bad. Das trübe Wasser ließ ich ab, ließ frisches einlaufen und gab etwas Schaumbad dazu. Es duftete nach Lavendel. Wenn ich jetzt Lavendel rieche, wird mir wieder davon schlecht. Ich vergewisserte mich, dass das Wasser nicht zu heiß war. Als sie langsam in die Wanne stieg, merkte ich, dass ihr jede Bewegung wehtat. Sie hatte Blutergüsse an den Schultern, wie Abdrücke schmutziger Hände. »Ich sollte einen Arzt rufen. Die Polizei. Wir sollten …«
    Sal schüttelte den Kopf.
    »Aber …«
    »Ich will nicht, dass jemand davon erfährt, okay?« Auf einmal hatte sie ihre Stimme wiedergefunden. Sie klang jetzt energisch, und darüber war ich so erleichtert, dass ich meinerseits in Tränen ausbrach.
    »Soll ich dich waschen?«
    »Es geht schon.« Sie schrubbte sich mit dem Waschlappen ab, dann legte sie sich ins Wasser, bis es sie vollständig bedeckte, auch ihr Gesicht und ihr Haar. Nach einer Weile richtete sie sich unvermittelt auf, stellte sich unter die Dusche und wusch sich noch einmal. Ich ließ das Wasser ablaufen und holte ihr ein frisches Handtuch. Wir gingen auf ihr Zimmer. Sie zog einen Pyjama an, und ich legte mich angezogen zu ihr aufs Bett.
    Sie erzählte mir, was geschehen war. Damien hatte sie gebeten, mit ihm und seinen Kumpeln auszugehen, und sie hatte eingewilligt. Sie tranken bis spät abends, dann holten sie sich etwas zu essen, und Damien fragte, ob sie mitkommen dürften. Er wusste, dass ihre Mum verreist war. Sie willigte ein, weil sie genug hatte und ins Bett wollte und glaubte, sie wollten nur in Ruhe essen und dann nach Hause gehen. Sie rissen Witze über Sex, einer rieb sich am Arsch eines Kumpels, und alle taten so, als wäre das lustig. Damien redete kaum mit ihr, er wollte nur dazugehören. Sie meinte, sie wolle ins Bett, und bat ihn abzuschließen, wenn sie gingen. Zwei der Typen, die auf dem Sofa saßen, hatten sich gegenseitig die Hand in die Hose gesteckt, und sie wollte nichts weiter, als dass sie verschwanden. Als sie die Treppe hochstieg, kam ihr jedoch einer
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