Das Testament der Jessie Lamb: Roman
es sinnlos, es ihnen zu sagen. Wenn sie keine Zeit für mich hatten, hatte ich auch keine Zeit für sie. Außerdem ging es sie nichts an.
Bei dem Gedanken an Baz wurde mir ganz warm. Meine Nippel versteiften sich unter dem T-Shirt. Ich legte die Hände darauf. Das Gefühl war so … so … ach, ich weiß nicht, ich kann es nicht beschreiben, einen Moment lang war ich wie versteinert. Ich dachte, wenn ich das jeden Tag tun könnte, wäre mir alles andere egal. Der Planet, die Zukunft, alles. Dann wäre ich wie Sal und Damien zu Anfang ihrer Beziehung und hätte nur ein einziges Thema im Kopf. Wenn Baz mich wirklich mochte, würde er bestimmt nicht weggehen, wie sollte er auch? Nicht mal für eine Woche. Niemand hatte mich vorgewarnt. Niemand hatte mir gesagt, dass ich mich fühlen würde wie … wie eine Sexbesessene.
Ich schob den Sessel vor die Tür, ließ mich aufs Bett fallen und fasste mich an. Doch es war nicht das Gleiche. Ich wollte ihn. Die Wundheit erinnerte mich an das Erlebnis und rief das bestürzende Gefühl in meinem Innern wach. Ich war triefnass. Ich konnte nicht aufhören, bis es mir kam. Hinterher war ich angewidert. Sex war nicht wichtig. Beziehungen waren nicht wichtig. Wichtig war die Entscheidung, die ich getroffen hatte.
Ich ging ins Bad und duschte ausgiebig und verschwenderisch. Als ich mich anschließend im beschlagenen Spiegel betrachtete, war ich immer noch die Gleiche. Niemand würde mir ansehen, was ich getan hatte. Ich würde meinen Plan weiterverfolgen, ich würde mich durch die Sache mit Baz nicht davon abbringen lassen. So wenig wie er sich dadurch von seinen Plänen würde abbringen lassen. Schließlich war er nach Chester gefahren. Ich hatte keine Ahnung, wann ich ihn wiedersehen würde. Ich fragte mich, mit wem er sonst noch geschlafen hatte. Solange er es nicht mit Rosa getrieben hatte, war es mir egal.
Ich föhnte mir gerade die Haare, als ich merkte, dass mein Handy klingelte – ich schaltete den Föhn ab und nahm es in die Hand. Unbekannter Anrufer. Es war Schwester Garner aus der Klinik. »Jessie Lamb?«, sagte sie. »Sie waren bei dem Treffen der Freiwilligen.«
»Ja.«
»Bitte entschuldigen Sie, dass ich mich so kurzfristig melde, aber wenn Sie Zeit haben, könnte Dr. Nichol heute die medizinische Voruntersuchung durchführen.«
»Heute? Wann?«
»Um zwölf?«
»Ich komme.« Prima. Dann bräuchte ich nicht hier herumzusitzen und darauf zu warten, dass Dad Zeit fand, mit mir zu reden. Ich zog mich an und verließ das Haus so leise, dass das Stimmengemurmel in der Küche nicht einen Moment ins Stocken geriet. Sollten sie sich ruhig mal wundern, wo ich steckte, falls es ihnen überhaupt auffiel!
Während der Busfahrt zur Klinik spürte ich den Herzschlag zwischen den Beinen. Hoffentlich würde mich der Arzt nicht da unten untersuchen. Das wäre ausgesprochen peinlich.
Dr. Nichol ist eine kleine Frau mit silbergrauem Haar und dunklem, gelassenem Gesicht. Dunkle Augen, schwarze Brauen, etwas Forschendes und Hintergründiges liegt in ihrem Blick. Sie hat eine tiefe, klare Stimme. »Nun, Jessie«, sagte sie, »wie geht es Ihnen?« Sie vermittelt einem das Gefühl, dass man offen mit ihr sprechen möchte, weil sie einem ihre volle Aufmerksamkeit schenkt. Als sie ein paar Blutproben genommen, den Blutdruck gemessen und mir das Herz abgehört hatte, erkundigte sie sich nach meiner Periode und erklärte mir, dass man mir bei meinem nächsten Besuch das Implanon-Implantat entfernen werde. Zum Glück brauchte ich mich nicht zu entkleiden, und sie verzichtete darauf, meine Vagina zu untersuchen. Bald würde ich mir deswegen keine Gedanken mehr machen müssen.
Zum Abschied schüttelte sie mir die Hand und sagte: »Gut gemacht, Sie sind topfit.« Sie lächelte mich freundlich an. »Aber vergessen Sie nicht, niemand wird es Ihnen übel nehmen, wenn Sie aussteigen.« Ich hätte gern gewusst, wie es mit den anderen Mädchen stand, ob auch sie alle »topfit« waren; ob sie glaubte, dass wir alle wirklich bis zum Ende durchhalten würden. Ich wollte, dass sie an mich glaubte. Ich wollte sie nicht enttäuschen.
Als ich aus dem Untersuchungsraum kam, warteten davor zwei weitere Mädchen. Theresa, die Stille vom Freiwilligentreffen – und Rosa Davis! Sie trug eine schwarze Gruftikluft und war klapperdürr, doch ihr durchtriebenes Lächeln war unverkennbar. Ich war baff. Das letzte Mal hatte ich sie vor der Abschlussprüfung in der Schule gesehen. Schwanger war sie anscheinend nicht
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