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Das Testament der Jessie Lamb: Roman

Das Testament der Jessie Lamb: Roman

Titel: Das Testament der Jessie Lamb: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Rogers , Norbert Stöbe
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gewesen, denn jetzt saß sie hier. Wir sagten uns überrascht Hallo, dann ging Theresa ins Untersuchungszimmer. »Wie hast du davon erfahren?«, fragte ich.
    »Meine Mum ist Krankenschwester.«
    Mir wurde klar, dass wir alle irgendeine Verbindung zur Klinik haben mussten – wie hätten wir sonst von den Prae- MTS -Embryos erfahren sollen? »Wohnst du wieder bei deiner Mum?«
    »Ich wohne bei meinem Freund. Er hat eine richtig große Wohnung in Deansgate.«
    Ich fragte sie, wo sie seit ihrem Verschwinden von der Schule gesteckt habe, und sie meinte, hier und dort, in London, Paris, Kalifornien. Sie sagte, sie sei an so vielen Orten gewesen, dass sie den Überblick verloren habe. Während sie mit mir redete, blickte sie mich mit einem Auge an, während das andere über meinen Kopf hinwegzupeilen schien, als wollte sie mich herausfordern, ihr zu sagen, dass ich ihr nicht glaubte. Sie war der letzte Mensch, den ich gern wiedersehen wollte. Sie aber bestand darauf, die Telefonnummern auszutauschen, damit wir in den verschiedenen Stadien der Prozedur in Kontakt bleiben könnten. Ich sagte mir, es wäre eh egal, denn sie würde bestimmt aussteigen. Ich wartete einen Moment, um nicht unhöflich zu erscheinen, dann sagte ich ihr, ich hätte eine Verabredung, und eilte zum Ausgang.
    Ich wollte noch nicht nach Hause gehen, deshalb beschloss ich, Lisa einen Besuch abzustatten. Als ich aus dem Bus ausstieg, hatte es zu schneien begonnen – große, Polka tanzende Flocken, die lautlos alles mit einer weißen Schicht überzogen. Es war so kalt, dass der Schnee wohl liegen bleiben würde; der erste richtige Schnee des Winters, und er hatte bis Anfang März auf sich warten lassen. Als ich das Kids’ House erreichte, war mein Gesicht feucht und taub. Niemand meldete sich auf mein Klingeln hin, doch ich hörte Lärm und ging deshalb hinein. Im großen Raum spielten ein paar Jungs, und aus den Lautsprechern dröhnte Musik. Mit der weißen Farbe sah es besser aus als vorher, aber immer noch irgendwie schmuddelig. Außerdem hallte es. Ich ging nach oben und klopfte bei Lisa an, und sie rief: »Herein!« Ihr Zimmer hatte sich vollkommen verändert. Auf dem Fensterbrett reihten sich gefiederter Farn und Pflanzen mit dunklen, glänzenden Blättern. Mitten im Raum standen zwei alte Schaukelstühle, bedeckt mit ausgeblichenen indischen Tagesdecken. Sie schlief auf einer Matratze am Boden, mit einem Haufen roter und purpurfarbener Samtkissen, und in der Ecke gab es einen Stuhl und einen kleinen Holztisch mit Laptop und brennender Lampe. Neben dem Tisch waren zwei Büchertürme gestapelt. Die nackten Holzdielen hatte sie mit dunkelroter, glänzender Farbe bemalt. »Hübsche Scheuerleisten!«, sagte ich, und sie lachte.
    »Ja, die sind gut gelungen.«
    »Du hast dich hübsch eingerichtet.«
    »Es ist gut, wenn man einen Ort hat, wo einem niemand dreinredet.« Während sie uns etwas zu trinken holte, schaute ich mir die Titel der Bücher neben dem Schreibtisch an, Der Kleinbauer im 21. Jahrhundert , Mehr Gemüse ernten , Das große Buch der Selbstversorgung . Ich hatte gar nicht gewusst, dass das Kids’ House auch einen Garten hatte. Sie brachte Becher mit Orangensaft, und wir setzten uns in die Schaukelstühle und bewunderten das Zimmer. »Mein Dad hat mir ein paar Sachen von zu Hause gegeben.«
    »War er einverstanden?«
    »Er sagt, ohne ihn sind wir besser dran. Und dann bricht er in Tränen aus, weil er ein schlechtes Gewissen hat.«
    Ich hatte es nicht vorgehabt, doch auf einmal erzählte ich ihr, dass ich mich für das Programm angemeldet hätte, und berichtete ihr von der medizinischen Untersuchung, die ich gerade hinter mich gebracht hatte. Es hatte einen eigenen Zauber, in dem Raum zu sein und in den Schaukelstuhl gekuschelt mit ihr zu reden, während der Lampenschein vom glänzend lackierten Boden reflektiert wurde. Ich meinte beinahe zu schweben, und das erinnerte mich an das Gefühl, das ich in dem blauen Kleid gehabt hatte, als ich mich über den Rest der Welt emporgeschwungen hatte und zu einem friedlicheren Ort geflogen war, wo alles möglich schien.
    Doch als ich geendet hatte, sagte sie: »Das wäre doch wohl ein bisschen verrückt, oder?«
    »Findest du?«
    »Ich glaube, am Leben zu bleiben ist eine gute Sache.« Sie lachte. »Entweder man findet ein Heilmittel – was ziemlich wahrscheinlich ist, denn schließlich gibt es bereits einen Impfstoff. Oder aber alle werden alt und sterben, und alles bricht zusammen. Wenn es dazu

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