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Das Testament der Jessie Lamb: Roman

Das Testament der Jessie Lamb: Roman

Titel: Das Testament der Jessie Lamb: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Rogers , Norbert Stöbe
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für alles andere war uns zu heiß. Ich war froh, aber ich glaube, ich hatte einen Schock. Alles an mir war hyperempfindlich. Dann fiel mir ein, dass Baz fortgehen würde, um Nat und den Tierbefreiern zu helfen, und ich dachte, das ertrage ich nicht. Ich würde es nicht ertragen, allein zu sein, ich war dermaßen empfindlich geworden, dass er mich ständig in den Armen halten müsste. Ich fühlte mich, als wäre ich geschält worden. Als er mich fragte: »Was hast du?«, sagte ich es ihm, und er umarmte mich und meinte, er werde bald wiederkommen. Trotzdem brach ich in Tränen aus. »Hör auf«, flüsterte Baz, »hör auf, hör auf«, und er leckte mir die Tränen vom Gesicht wie ein Hund, bis ich lachen musste, und nannte mich ein Dummchen. Wir sprachen darüber, dass er Nat helfen würde, und er versprach mir, sich nicht in Gefahr zu begeben. »Aber ruf mich nicht an und schreib mir auch keine SMS – wir müssen für ein paar Tage den Kontakt abbrechen, Jess, damit die Polizei uns nicht aufspüren kann.« Mir war es recht, alles war mir recht. Ein Teil von mir wollte, dass er aufhörte zu reden und mich wieder küsste. Mein Blut war in Wallung, mein ganzer Körper prickelte. Ein anderer Teil von mir aber wollte, dass ich mich anzog und durch die kalte Nacht nach Hause ging, die dunkle Luft einatmete und mein Denken mit meinen Gefühlen in Einklang brachte. Oben rumorte es, deshalb war es tatsächlich Zeit zum Aufbruch; Baz meinte, er wolle mich nach Hause begleiten.
    Als wir nach oben kamen, saugte seine Mutter gerade die Vorhänge. Sie stellte den Staubsauger ab, fragte uns, wohin wir wollten, und verabschiedete sich von mir, dann saugte sie weiter. Als wir Arm in Arm zu mir nach Hause gingen, tat sie mir furchtbar leid. Der Himmel war voller Sterne. Wir verharrten einen Moment lang im Schatten einer Tanne, die die Straßenlaterne verdeckte, und schauten zu den Sternbildern hoch, deren Namen wir beide nicht kannten. Dann gingen wir Hand in Hand bis zu meinem Haus, ohne zu reden und in dem Gefühl, die Nacht und alles darin gehöre uns: Mond, Sterne, die dunklen Schatten der Bäume, die geduckten, stillen Häuser. Wir wussten, dass wir die Fehler unserer Eltern nicht wiederholen würden.

18
    Ich erwachte vom Motorengeräusch des Wagens in der Einfahrt. Dad war wieder da! Ich schlüpfte in den Bademantel und rannte nach unten, um ihn zu begrüßen. Sein weiter, grauer Mantel, sein purpurrotes Halstuch, sein Affengesicht und sein graues, schlaffes Haar wirkten heller als sonst, überlebensgroß, lebensvoller, als ich ihn in Erinnerung hatte. Er drückte mich an sich.
    »Wo warst du? Hast du meine SMS nicht bekommen? Was ist mit deinem Handy?« Hinter mir hörte ich Mum die Treppe herunterkommen.
    »Hallo, Joe«, sagte sie.
    »Wir müssen reden«, sagte er ruhig.
    Mum nickte. »Ich mache uns Tee.«
    »Ich hab Zeit zum Nachdenken gebraucht«, sagte er zu mir. »Das ist alles. Ich wollte eine Zeit lang allein sein, über alles nachdenken.«
    »Aber du hättest doch wenigstens simsen können!«
    »Nein, es war besser, das Handy ausgeschaltet zu lassen.«
    »Aber Dad, wir haben uns Sorgen gemacht, wir wussten nicht, wo du steckst …«
    »Jetzt bin ich wieder da. Weißt du, Jess, deine Mutter und ich müssen uns unterhalten. Lass uns einen Moment in Frieden, ja? Wir haben einiges zu bereden.« Er folgte Mum in die Küche und schloss hinter sich die Tür.
    Ich stieg langsam die Treppe zu meinem Zimmer hoch. Ich hatte ihm eine Neuigkeit zu verkünden, hatte er das vergessen? Ich setzte mich auf den Boden und lauschte dem Auf und Ab ihrer gedämpften Stimmen, ein fortwährendes Gemurmel. Was beredeten sie? Die Scheidung? Wie sie das Haus, den Wagen, das Mobiliar, das Besteck und mich unter sich aufteilen sollten?
    Mandy hatte recht. Ich sollte sie einfach nicht beachten. Mit ihren Streitereien hatten sie das ganze Durcheinander überhaupt erst verursacht, und ich musste deshalb Nacht um Nacht wach liegen und mir Sorgen machen. Und jetzt entschuldigten sie sich nicht einmal! Offenbar bedeutete ich ihnen nichts. Ich stellte mir vor, wie ich nach unten ginge und ihnen sagte: »Okay, stellt euer Trennungsdrama mal für einen Moment zurück und hört mir zu. Ich habe mit Mr. Golding gesprochen und bin zu folgender Entscheidung gelangt …« Ich würde es ihnen sagen, und sie würden mich beide fassungslos anschauen, und dann würde ich sagen: »Und jetzt könnt ihr euch weiter eurem Beziehungskram widmen.«
    Aber eigentlich war

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