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Das Testament der Jessie Lamb: Roman

Das Testament der Jessie Lamb: Roman

Titel: Das Testament der Jessie Lamb: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Rogers , Norbert Stöbe
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des Kindes? Es gibt nichts Traurigeres, als wenn man sieht, wie diese Mädchen ihr Leben für nichts verlieren.«
    »Aber Sechzehnjährige haben die beste Erfolgsrate. Das hat Mr. Golding uns gesagt.«
    »Dabei geht es um ein neues Verfahren. Das ist nicht das Gleiche wie bei den Schlafenden Schönen.«
    Ich schaute zu Dad hoch. Er achtete genau darauf, wohin er trat. »Du glaubst, wenn ich warte, würde ich es mir vielleicht anders überlegen.«
    »Das habe ich nicht gesagt.« Jetzt sah er mich an und kniff die Augen zusammen, da der Schnee ihn blendete.
    »Na schön«, sagte ich. »Was noch?«
    »Es gibt eine Menge tiefgefrorene Embryos, aber die Vorräte sind nicht unerschöpflich. Und das ist unsere einzige Quelle potenziell MTS -freier Kinder. Deshalb glaube ich, wir sollten nichts überstürzen. Es wird Testprogramme geben, bei denen man einer begrenzten Zahl von Mädchen Embryos einpflanzt. Über das weitere Vorgehen wird dann auf der Grundlage der Resultate entschieden werden.«
    »Resultate?«
    »Wie viele Kinder überleben. Ob das Impfmittel zu hundert Prozent wirksam ist. Ich vermute, die meisten Kliniken werden ein paar Tests machen, und in neun Monaten, wenn die ersten Ergebnisse vorliegen, werden die Ärzte sie vergleichen und analysieren und dann das zweite Programm starten. Bei dem die Erfolgsaussichten logischerweise besser sein werden. Die ersten Freiwilligen sind im Grunde nur Versuchskaninchen.«
    Wir waren beide stehen geblieben. Ich wackelte mit den Zehen meines linken Fußes, um die Durchblutung anzuregen.
    »Hör mal«, sagte er. »Ich verspreche dir, ich werde nicht versuchen, dich umzustimmen, wenn du einwilligst, aus dieser Runde auszusteigen und neun Monate auf die nächste zu warten.«
    »Mir ist kalt«, sagte ich. »Lass uns zum Wagen zurückgehen.«
    »Möchtest du Kakao?«
    »Nein.« Ich ging voraus, stapfte knirschend durch den Schnee. Von der blendenden Helligkeit taten mir die Augen weh. Ich dachte, wenn ich nach Hause komme, nehme ich ein heißes Bad und lasse mir alles durch den Kopf gehen, was er gesagt hat. Dann überlege ich mir ganz vernünftig, was ich tun werde. Ich mache mir eine Fragenliste für Mr. Golding. Ich bin kein Kind. Aber wie ich so durch den stillen Wald stapfte und die vielen Treppenstufen hochstieg, fühlte ich mich elend und innerlich leer, als wären all meine Hoffnungen zunichtegeworden.
    Auf dem Rückweg nahm Dad nicht die Ashton Road, sondern bog nach Oldham ab. »Wohin fahren wir?«
    »Ich lade dich zum Essen ein. Wir sprechen nicht mehr darüber, okay? Lass uns einfach zusammen essen und ein bisschen Spaß haben, Jess. Ich wollte nur, dass du die Fakten kennst.« Er bog auf die Straße zum White Hart ab, eine schöne Überraschung. Dort gehen wir nur selten hin, wegen der hohen Preise. Die selbst gemachten vegetarischen Würstchen mit Kartoffelbrei sind mein Lieblingsgericht aller Zeiten, und es gibt dort auch einen Kamin, wo ich meine eiskalten Zehen wärmen konnte. Auf einmal verspürte ich eine prickelnde Erregung bei dem Gedanken, was ich noch alles tun könnte, wenn ich neun Monate mehr Zeit hätte. Ich könnte weiter aufs College gehen und meine Freundschaft mit Sal erneuern; ich könnte im Frühjahr zusammen mit Dad einen Gemüsegarten anlegen; und dann war da noch Baz!
    Im Pub waren nur wenige Gäste, ein älteres Ehepaar und ein paar Geschäftsleute, die zu Mittag speisten. Die Eheleute redeten kein Wort miteinander, und als der alte Mann sich erhob und zur Toilette schlurfte, goss seine Frau den klaren Inhalt ihres Glases in das seine, in dem anscheinend Orangensaft war. Sie war so verschrumpelt wie eine Dörrpflaume, mit wirrem weißem Haar, und als sie bemerkte, dass ich sie anschaute, nickte sie mir lächelnd zu. »Das perfekte Alibi«, flüsterte Dad.
    »Red weiter.«
    »Die Herztabletten, die er nimmt, vertragen sich nicht mit Wodka. Deshalb trinkt er Orangensaft. Sie schüttet ihm den Wodka ins Glas, und er trinkt ihn. Dann erzählt sie allen, er habe wohl aus Versehen ihr Glas leer getrunken.«
    »Ein halbes Glas Wodka würde ihn bestimmt nicht umbringen.«
    »Du weiß nicht, wie oft sie das schon getan hat.« Wie zum Beleg für seine Vermutung ging die verschrumpelte Dame zum Tresen und bestellte neue Drinks. Der alte Mann leerte in ihrer Abwesenheit sein Glas. Dad und ich kicherten.
    Als wir nach Hause kamen, duftete es nach gebratenen Zwiebeln. Mum kam aus der Küche. »Ihr seid bestimmt ganz durchgefroren. Ich habe Suppe

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