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Das Testament der Jessie Lamb: Roman

Das Testament der Jessie Lamb: Roman

Titel: Das Testament der Jessie Lamb: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Rogers , Norbert Stöbe
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gemacht.«
    »Das ist nett, aber wir haben schon im White Hart gegessen.«
    »Oh.« Sie schaute zu, wie wir in der Diele unsere Sachen auszogen.
    »Wie geht es ihr?«, fragte Dad freundlich.
    »Mandy? Ist immer noch wütend. Es ist wirklich nicht einfach, Joe.« Wir gingen in die Küche, und sie schöpfte etwas Suppe in eine Schale und setzte sich an den Tisch.
    »Ist Caroline bei ihr?«, fragte Dad.
    »Ja. Ich musste mal Pause machen. Sie schimpft den ganzen Tag mit mir, weil ich diesen kleinen Scheißer in die Wüste geschickt habe. Angeblich habe ich ihr Leben ruiniert …«
    »Hör mal«, sagte Dad. »Jeder Tag, den du ihr zusätzlich verschaffst, ist ein Gewinn.«
    Mum schüttelte den Kopf. »Jetzt treibt sie mich in den Wahnsinn.«
    »Ich begleite dich zu ihr«, sagte er.
    »Weshalb habt ihr im White Hart gegessen?«
    »Das hat sich so ergeben«, meinte Dad. »Ich wusste ja nicht, dass du nach Hause kommen würdest.«
    Mum schaute mich an, als hätte sie mich eine ganze Weile nicht mehr gesehen. »Dann hat er dich wieder zur Vernunft gebracht?«
    »Ist schon gut, Cath«, sagte mein Dad. »Wir hatten eine Unterhaltung.«
    »Und?«
    »Lass gut sein«, meinte Dad.
    Ich wollte nicht, dass sie wieder zu streiten anfingen. »Ich werde vielleicht ein Jahr warten, wie Dad es vorgeschlagen hat.«
    »Gut.« Mum starrte Dad an, dann beugte sie sich über ihre Suppe. Ich hängte meine Jacke auf und ging nach oben. Ich wollte dafür sorgen, dass es wenigstens ein Baby gab, das gesund wäre. Ich setzte mich aufs Bett und schaute zum Baum hinaus. Ich kam mir vor wie eine Verräterin.

21
    In den nächsten Tagen waren die Nachrichten voll mit Meldungen zu den Schlafenden Schönen – darunter auch Neuigkeiten zu den Embryos aus der Zeit vor dem Ausbruch von MTS . Es wurde der Verdacht geäußert, die Kliniken setzten unlautere Methoden ein, um junge Frau dazu zu bewegen, sich für das Programm zu melden; es fließe Geld; es seien sogar Mädchen entführt und unter Drogen gesetzt worden. Es wurde eine Menge über die leiblichen Eltern der tiefgefrorenen Embryos berichtet – ihre Rechte hätten Vorrang, und sie hätten vielleicht Einwände gegen die experimentelle Verwendung ihrer Embryonen. Ich sah fern, um auf dem Laufenden zu bleiben, deshalb bekam ich es auch gleich mit, als der Wettenhall-Film gepostet wurde.
    Ich sah ihn im Internet. Er war grausam – dunkle, schattenhafte Bilder eines Betonbaus, der an ein vielstöckiges Parkhaus erinnerte, mit Hunderten von Drahtkäfigen, in denen bemitleidenswerte Tiere eingesperrt waren. Verängstigte Affen, die sich an die Gitterstäbe klammerten und in die Kamera schnatterten; kranke Affen mit trübem Blick, die in den Käfigecken lagen und kraftlos am Schorf oder an den Schläuchen in ihren Armen und Beinen kratzten; komatöse Affen, festgeschnallt und mit Überwachungsgeräten verkabelt, das Fell bis auf die nackte rosige Haut abrasiert. Es gab verkabelte nackte Schafe, festgeschnallt wie Astronauten in einem Spaceshuttle; Käfig um Käfig gestapeltes Elend. Manche Tiere lagen tot in ihrem Erbrochenen.
    Ich verstand, weshalb Nat so aufgebracht war. Man konnte sich das nicht anschauen, ohne wütend zu werden. Man mochte kaum glauben, dass Menschen dafür verantwortlich waren. Ich dachte daran, wie Dad munter über transgene Schafe geplaudert hatte, als gehe es dabei nur um Wissenschaft. Um saubere, ordentliche, schmerzlose Wissenschaft. Entweder er wusste nicht, was da vor sich ging, oder, wenn er das für in Ordnung hielte – also, dann war ihm einfach nicht zu trauen. Ich schaltete den Rechner aus und ging in die Küche.
    Ich glaube, zu diesem Zeitpunkt stand ich auf der Kippe zwischen Weitermachen und Aussteigen. Die hässliche Seite der Wissenschaft, die Medikamente, die Schläuche und Apparate widerten mich an. Wenn ich mich dem überließ, wäre auch ich eines dieser Schafe. Und wenn ich, wie Dad gemeint hatte, womöglich sterben würde, ohne ein Kind zur Welt zu bringen – grundlos sterben … oje.
    Wie wäre es zu sterben? Ich stellte mir vor, dass es so wäre wie vor meiner Geburt, als ich nichts empfand, ein traumloser Schlaf. Aber mir vorzustellen, keinen Sonnenschein mehr zu sehen, morgens nicht aufzustehen und mir zu überlegen, wie der Tag wohl verlaufen würde. Nicht den weichen Baumwollstoff zu spüren, wenn ich mir das T-Shirt überzog. Beim Zähneputzen keine schmer zenden Finger vom kalten Wasser zu bekommen. Nicht mit einer Hand die Tür des Küchenschranks

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