Das Testament der Jessie Lamb: Roman
Bierflasche, dann pustete er ein paarmal in die Öffnung, bis es pfiff. »Die Leute glauben immer, die Zeit reiche noch aus, um was zu ändern«, sagte er.
»Weil sie dumm sind.«
Jemand stellte die Musik lauter, wir plünderten den Barschrank seiner Eltern, und Baz reichte einen Joint herum. Ich kam mir sehr schlau vor, weil ich daran dachte, meine Eltern anzurufen und ihnen zu sagen, dass ich bei Sal übernachten würde. Ich erinnere mich, mit Danny geknutscht zu haben, den ich nicht mal mochte, und dann saß ich auf einmal im Bad, und mir war übel. Sal meinte, ich solle mir die Finger in den Hals stecken, und ich würgte ein bisschen, aber nicht genug. Anschließend ging ich in den Keller runter zu Baz. Er war allein und spielte Klavier, er bemerkte mich nicht. Ich kuschelte mich in seinen großen Schaukelstuhl und versuchte zu dösen, während die Töne wie Wasser aus seinen Fingern hervorströmten. Alle paar Minuten musste ich die Augen aufmachen, weil sich alles um mich drehte. Irgendwann schlief ich anscheinend ein, denn als ich erwachte, war ich mit einer Decke zugedeckt, und Baz war verschwunden. Ich fühlte mich natürlich elend, und es wurde noch schlimmer, als ich nach oben ging, wo Rosa Baz beim Aufräumen half. Ich fragte sie, wo sie geschlafen habe, und sie meinte grinsend, seine Eltern hätten ein französisches Bett. Ich ging nach Hause und blieb den ganzen Tag lang auf meinem Zimmer. Meiner Mum erzählte ich, ich hätte Kopfschmerzen, was auch stimmte.
Am Vorabend aber, bevor mir übel wurde, als wir alle wie wahnsinnig tanzten, bis sich alles um uns drehte, hatte ich ein wundervolles Gefühl von Freiheit gehabt. Ich glaubte, ich könnte mich von Mum und Dad und ihren Zankereien frei machen. Ich könnte fliegen. Niemand hatte mir etwas zu sagen, besonders keiner, der älter war als ich. Denn die hatten alles vermurkst.
Ein Gefühl von Macht, wie bei den Gelegenheiten, da ich meiner Tante Mandy im Theater half. Sie fertigte nicht nur Marionetten und Masken für das Kindertheater an, sondern kümmerte sich auch um die Beleuchtung. In den Ferien bat sie mich manchmal, ihr zu helfen, und das tat ich mit Freuden. Der große, heiße Scheinwerfer ist von einem Rahmen mit einem Griff eingefasst, und daran bewegt man ihn so, dass der Lichtstrahl dem Schauspieler folgt und er ständig beleuchtet ist. Man muss seine Bewegungen kennen und wissen, wohin er als Nächstes geht, um den Scheinwerfer ausrichten zu können. Eine Zeit lang wollte ich den gleichen Beruf ergreifen wie sie, im Dunkeln am Beleuchtungstisch sitzen, vor mir die vielen Knöpfe, und leise die Seiten des mit Anmerkungen versehenen Skripts umblättern. Die Figuren in Licht tauchen, die es brauchten, Sonnenschein nachahmen oder es dunkel werden lassen, die Bühne in ein vom Kaminfeuer erhelltes Cottage verwandeln oder in einen wolkenlosen Sommertag. Die Beleuchtung erweckt die Charaktere zum Leben. Diese Art Macht spürte ich in mir.
Wir erfuhren, dass Caitlin gestorben war, und ein paar Leute aus meiner Klasse gingen zur Beerdigung. Ich ging nicht hin, denn ich hatte sie nicht gut gekannt. Rosa Davis verschwand, und es hieß, sie sei ebenfalls schwanger. Das wunderte niemanden, denn sie war schon immer seltsam gewesen. Sie hatte keine richtigen Freundinnen, sondern hing immer am Rand der Cliquen herum. Ich war froh, dass sie weg war.
Als ich wieder zur Schule ging, kam ich mir ein bisschen schizo vor. Einerseits machte ich mir Sorgen wegen meines Abschlusses, und gleichzeitig dachte ich: »Was soll’s? Es hat eh alles keinen Sinn.« Ich machte mir Sorgen, Baz könnte mich für einen Trunkenbold halten. Dann rief er an und fragte mich, ob ich an einer Veranstaltung teilnehmen wolle. »Es geht um das Thema, über das wir neulich gesprochen haben«, sagte er. »Wie die Menschen die Welt vermurkst haben.«
Ich sagte zu, denn ich dachte, er wolle mit mir zusammen dorthin gehen – dann aber stellte sich heraus, dass er in Manchester eine Klavierprüfung hatte und seine Mum ihn hinterher absetzen wollte. Ich kam mir dumm vor, und das ärgerte mich zusätzlich. Ich fragte Sal, ob sie mitkommen wolle, doch sie wollte nicht.
»Das ist doch langweilig«, meinte sie. »Wieder eine dieser Grünengeschichten. Den Planeten retten, was hat das noch für einen Sinn?« Sal hatte in ihrem Kopf nur für Damien Platz. Wenn sich eine Gelegenheit bot, trieben sie es miteinander. Schließlich ging ich allein zu der Veranstaltung.
Sie fand in einem
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