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Das Testament der Jessie Lamb: Roman

Das Testament der Jessie Lamb: Roman

Titel: Das Testament der Jessie Lamb: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Rogers , Norbert Stöbe
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verschiedenen Tellern ab. Er hat eine alte Waage mit einer Metallschale an der einen Seite und kleine Messinggewichte, die man übereinanderstapelt, an der anderen Seite. Mum hat sie ihm zu Weihnachten geschenkt, und er liebt die Waage. Die Gewichte sind glatt und klobig und fügen sich zu einem hübschen Turm zusammen. Mum meint, er koche wie ein Wissenschaftler. Ohne exakt die richtigen Zutaten kocht er nicht.
    Er steht da und wiegt; mit den gebeugten Schultern hat er ein bisschen Ähnlichkeit mit einem Affen! Er ist auch so behaart wie ein Affe, hat ein richtiges Fell auf der Brust. Wenn Mum mit mir ins Schwimmbad ging, starrte ich immer die seltsamen Männer mit ihrer nackten Brust an. Er hat breite Schultern und einen dicken Hals, aber kurze Beine, und wenn er sich umdreht und einen anlächelt, sieht man seine braunen Augen und zwei tiefe Lachfalten, die sich bei seinem wirklich äffischen Grinsen beiderseits des Mundes eingraben. Wenn er einen angrinst, muss man zurückgrinsen. Aber jetzt hat er schon lange nicht mehr gegrinst. Was vermutlich meine Schuld ist.
    Dienstags machte ich meine Hausarbeiten immer am Küchentisch, und wir dachten uns perfekte Verbrechen aus, bei denen man nicht geschnappt wurde, und brachten uns gegenseitig zum Lachen. Wenn das Opfer zum Beispiel allergisch auf Bienenstiche reagiert, gibt man ihm einen Tropfen Honig auf den Kragen und lässt ein paar Bienen los. Wenn sie ihn in den Hals stechen, schwillt der an, und der Mann erstickt, bevor er Hilfe herbeirufen kann. Oder wenn man einen Toten wegschaffen will, setzt man ihn ins Auto und fährt in einen Safaripark. Wenn niemand zusieht, wirft man ihn den Löwen vor. Die fressen ihn auf, ohne dass Spuren zurückbleiben.
    An einem Dienstag erklärte mir Dad, was es mit dem Muttertod-Syndrom auf sich hatte. Offenbar hatte es sich überallhin ausgebreitet. Die Gerüchte, wonach tief im Amazonasgebiet lebende Indianerstämme und die Eskimos im ewigen Eis davon verschont geblieben wären, hatten sich alle als falsch erwiesen. MTS war nicht auf den Westen oder die Erste Welt oder die großen Städte beschränkt. Es gab noch ein paar schwangere Frauen, doch deren Schwangerschaft war weit fortgeschritten; sie waren bereits vor dem Ausbruch von MTS schwanger geworden. Wenn diese Frauen ihre Kinder zur Welt gebracht hätten, würde es keine neuen Babys mehr geben.
    »Das verstehe ich nicht«, sagte ich. »Wieso werden nur Schwangere krank?«
    »Tja«, meinte Dad und setzte sich, um Kartoffeln zu schälen. »Bis vor hundert Jahren war die Schwangerschaft das gefährlichste Ereignis im Leben der Frauen und deren häufigste Todesursache.«
    »Quell aller Weisheit«, sagte ich und verdrehte die Augen. So nenne ich ihn, wenn er vom Leder zieht. Doch er lächelte nicht.
    »Willst du’s wissen oder nicht?«
    »Ich will es wissen.«
    »Also gut. Offenbar gibt es die verschiedensten Grün de, weshalb eine Schwangerschaft gefährlich ist. Das Baby kann zu früh oder zu spät kommen; es kommt möglicherweise nicht mit dem Kopf voran heraus, die Plazenta löst sich nicht richtig und so weiter. Aber klammert man alle physischen, mechanischen Faktoren aus, die schiefgehen können, bleibt ein Rest, der noch unheimlicher ist, weil man nämlich glaubt, diese Typen wären dafür verantwortlich.«
    »Typen?«
    »Die Terroristen. Bio-Terroristen, die das Virus entwickelt haben.«
    »Was ist das?«
    »Weißt du, was das Immunsystem ist?«
    »Ja, es bekämpft Krankheitserreger.«
    »Genau. Es kennt dich durch und durch und greift alles an, was nicht zu dir gehört. Alles Fremde in deinem Körper wird attackiert, um dich zu schützen. Und jetzt wird’s kompliziert. Wenn eine Frau schwanger wird, ergibt sich welches Problem?«
    Ich überlegte angestrengt. »Meinst du das Baby? Weil das Baby eine andere Person ist?«
    »Nah dran. Woraus besteht das Baby?«
    »Hm. Aus Blut, Knochen …«
    Er schüttelte den Kopf. »Ganz am Anfang.«
    »Aus einer Eizelle.«
    »Und weiter?«
    »Und einer Spermie.«
    »Danke. Und die stammt von jemand anderem. Und wenn das Baby wachsen soll, muss die Spermie überleben, und das gilt auch für die Zellen, die aus der Verschmelzung von Spermie und Ei entstehen. Das Immunsystem der Frau müsste sie aber eigentlich angreifen. Weil sie einen Fremdkörper im Organismus hat.«
    »Verstanden.«
    »Aber das tut es nicht. Bei den meisten normal verlaufenden Schwangerschaften greift das Immunsystem der Frau die Spermie oder den sich entwickelnden

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