Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Testament des Satans

Das Testament des Satans

Titel: Das Testament des Satans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
Vom Netzwerk:
ganzes Leben lang, zuerst gegen seinen Vater, aus dessen überlebensgroßem Schatten er sich herauskämpfen musste, und später, nachdem er ins Kloster eingetreten war, einen Ort der Stille und der Selbstdisziplin, gegen Gott. Die Bußen, die ich ihm in Saint Michael’s Mount auferlegte, konnten ihn nicht schrecken – im Gegenteil, je härter ich ihn bestrafte, desto trotziger kämpfte er gegen mich, seinen Prior. Irgendwann habe ich aufgegeben: Padric braucht keinen Beichtvater, den er stellvertretend für einen als unbarmherzig und ungerecht empfundenen Gott beschimpfen kann, sondern einen Freund, der zu ihm steht, der ihm vergibt und der ihn mit sanfter Hand führt. So polterig Padric daherkommt – hinter der rauen, scharfkantigen Austernschale verbergen sich ein weiches Herz und eine sanfte Seele, die zu Gefühlen wie herzlicher Wärme und aufrichtiger Freundschaft fähig sind. Und zu tiefer Leidenschaft, bis an die Schmerzgrenze.
    »Du hast dich also entschieden.« Ich bemühe mich um einen ruhigen Ton. Aber mein Versuch, nicht enttäuscht zu klingen, scheitert. Meinem besten Freund kann ich nichts vormachen.
    Padric antwortet nicht. Er sieht mich auch nicht an.
    »Vor acht Jahren hast du dich gegen das Portal von Saint Michael’s Mount geworfen und gebrüllt: Lasst mich rein! Jetzt rüttelst du wieder am Tor und schreist: Lasst mich wieder raus!«
    Padric schnaubt. »Das trifft’s ganz gut. Nur war der Saint Michael’s Mount damals, als du dort Prior warst, kein Kerker, wie es der Mont-Saint-Michel in den letzten Jahren geworden ist, seit Yvain die Herrschaft an sich gerissen hat.« Er schließt die Augen und lehnt seinen Kopf gegen das Mauerwerk des Kreuzgangs. Dann fragt er leise: »Wirst du mir helfen?«
    Als ich nicht sofort antworte, wirft er mir einen seiner eindringlichen Blicke zu. Padric weiß genau um die Wirkung seiner Augen. Sie sind so blau, so hell und so strahlend wie der Himmel kurz vor Sonnenaufgang. Um die helle Iris liegt ein dunkler Ring, tiefblau wie das aufgewühlte Meer unterhalb der Steilklippen meiner Insel, nahe dem Leuchtturm.
    »Yannic?«
    Ich atme durch. »Ich bin dein Freund, Padric. Was erwartest du von mir? Dass ich dich nach Wales schicke, in den ruhmreichen Tod in der Schlacht? Oder dass ich dir ein bisschen Vernunft einprügele, damit du hier in der Abtei in aller Ruhe weiterhin dein Gewissen wunddenkst? Damit du gegen Gott kämpfst? Und mit Satan um deine unsterbliche Seele ringst? Damit du mit dem Andenken an deinen Vater haderst, weil du glaubst, du hättest ihn enttäuscht, als du dich ihm widersetzt hast? Und weil du ihm nun doch nachfolgen willst?«
    Zugegeben, meine Worte klingen hart und gefühllos. Enttäuscht und verbittert. Wieder atme ich tief durch und fahre sanft, aber nicht weniger eindringlich fort:
    »Bürde mir diese Verantwortung nicht auf, Padric, bitte! Ich will sie nicht tragen. Ich bin nicht mehr dein Prior, vor dem du demütig kniest, und auch nicht mehr dein Beichtvater. Ich bin dein Freund, dem du dich anvertrauen kannst, ohne dass er dir mit verständnisvollem beichtväterlichem Gequatsche ins Gewissen redet oder dir eine unsinnige Buße auferlegt.«
    Er scheint mir aufmerksam zuzuhören. Also weiter im Text:
    »Wie auch immer du dich entscheidest, für Wales oder für dich selbst, für den Kampf auf dem Schlachtfeld oder den Gewissenskonflikt in deiner Zelle, ich stehe zu dir, Padric. Ich breche im Morgengrauen nach Rom auf und rede mit Kardinal d’Estouteville, damit er dich von deinen Gelübden entbindet, wenn es das ist, was du willst. Oder ich segele mit der nächsten Flut nach Caernarfon und hole Gwenllian hierher, damit sie hier bei dir in Sicherheit ist. Aber ich werde nicht für dich entscheiden!«
    Padric streicht sich die blonden Haare aus der Stirn und sieht mich an. »Yannic, ich halte es hier nicht mehr aus. Nicht die Belagerung durch die Engländer, nicht die Stimmung in dieser Abtei, aus der es kein Entkommen gibt. Die Mauern erdrücken mich. Der Weihrauchduft erstickt mich. Die Erscheinungen des Erzengels nachts in der Kirche erschrecken mich zu Tode. Und die Stundengebete mitten in der Nacht in Gegenwart des Satans, der in jedem Weihwasserbecken lauert, rauben mir noch den letzten Nerv. Meine Finger sind eiskalt vor Angst und zittern, wenn ich mein Brevier umklammere, während Le Coz predigt, auf dem Mont öffne sich das Tor zu Himmel und Hölle.
    Die Montois unten im Dorf haben recht: Langsam verlieren wir alle den Verstand.

Weitere Kostenlose Bücher