Das Testament des Satans
dass er in diesem Zustand den Schmerz des Feuers körperlich spürt, dass er sogar entsetzliche Brandblasen davon bekommen kann.
Ich lehne am Türrahmen und beobachte ihn. Ich darf ihn nicht berühren.
»Padric …«
»Hörst du, Satan? Lass mich endlich in Ruhe und verschwinde!« Erschöpft sinkt er gegen das Mauerwerk, birgt sein Gesicht in beiden Händen und schluchzt. Padric ist wieder in die Fänge des Höllenfürsten geraten, der ihn in die unendliche Gottesferne verschleppt, in die ewige Verdammnis. Satan macht Gott einmal mehr Padrics Seele abspenstig.
»Padric …«, beginne ich.
»Gott ist ungerecht!«, schreit er mit sich überschlagender Stimme. »Er hat mich verdammt!«
»Padric!«
Er blickt auf, sieht einen Schatten auf sich zukommen und schreit von Höllenangst geschüttelt: »Nein! Geh weg, geh weg, meine Seele bekommst du nicht!«
»Padric!« Ich raffe meinen Habit, knie neben ihm nieder und lege ihm die Hand auf die bebenden Schultern. Gott, wie er zittert! »Ich bin’s.«
»Yann?« Er tastet nach meiner Hand. »Er ist hier«, flüstert er und späht mit aufgerissenen Augen über meine Schulter.
Dumpfe Schläge dröhnen plötzlich aus dem Scriptorium.
»Nein, das ist er nicht, Padric«, beruhige ich ihn. »Nur wir beide sind hier.«
Padric lauscht auf das Getöse. »Bist du sicher?«
»Ganz sicher. Komm, wir gehen in den Kreuzgang hinauf und an die frische Luft.« Ich helfe ihm auf. Ich will den Cachot du Diable so schnell wie möglich verlassen, bevor Yvain und Abelard, die mich vermutlich immer noch suchen, mich in die Enge treiben. Ich schiebe Padric zur Treppe. »Hast du wieder bei Corentin gebeichtet?«
»Heute ist doch das Fest von Saint-Michel.«
»Wann ist er denn vom Festland zurückgekommen?«
»Weiß nicht.«
»Padric, ich bitte dich, such dir einen anderen Beichtvater als Corentin. Versteh mich nicht falsch, ich schätze Le Coz. Er ist ein Heiliger. Aber er macht dir Angst, Padric, indem er dir in seinem heiligen Eifer Höllenqualen androht und Satan hinterherhetzt.«
»Gott hat mich verdammt!«, nuschelt Padric, während wir die Treppe hinaufgehen.
Alessandra
Kapitel 11
Vor der Krypta Notre-Dame-sous-Terre
Kurz nach ein Uhr nachts
Der matte Lichtschimmer, der die dichten Weihrauchschwaden in ein mystisches Glühen taucht, stammt von einer Kerze in der Krypta Notre-Dame-sous-Terre. Zwischen den Räuchergefäßen auf dem Treppenabsatz bleibe ich stehen und spähe in die Kapelle, deren Tür gestern verschlossen war.
Feuchtkalte, muffige Luft weht mir entgegen, sodass ich nur ganz flach atme. Prior Yvain hat mir gestern während der Besichtigung erzählt, die karolingische Krypta sei aus statischen Gründen mit Bauschutt angefüllt worden, um den Einsturz der Abteikirche darüber zu verhindern.
Ich betrete die Kapelle, die bis zur Decke mit Geröll gefüllt ist. Nur der Bereich hinter dem Portal ist freigeräumt, was der Krypta ein höhlenartiges Aussehen verleiht. Von einer Reihe massiver Pfeiler getrennt erstrecken sich zwei vermutlich gleich große Schiffe zu einem Chor, den ich in der Dunkelheit nur erahnen kann. Nur in der Mitte der Kapelle, zwischen den Pfeilern, hat sich die Schutthalde gesetzt, sodass eine Art Pfad entstanden ist, der ins Herz der Finsternis führt.
Notre-Dame-sous-Terre, erinnere ich mich, während ich wie gebannt in die Dunkelheit jenseits der Geröllhalden starre, ist an der Stelle errichtet worden, wo Aubert, der renitente Bischof von Avranches, auf Befehl des tobenden Erzengels das erste Heiligtum errichten sollte. An diesem geheimnisumwitterten Ort tief unter der Erde gab es ein mit Menhiren geschmücktes Felsgrottenheiligtum der Kelten. Ich lasse meinen Blick über die Decke der Kapelle schweifen und stelle mir vor, ich bin in einem bretonischen Dolmengrab. Ob es in der Dunkelheit noch Reste der Megalithe gibt, auf denen die neun Druidinnen, von denen Yannic mir erzählt hat, Blutopfer darbrachten? Oder einen keltischen Goldreif in einer Grabhöhle mit einem Skelett?
Ich kann’s nicht lassen – die Schatzsucherin plant ihre nächste Ausgrabung …
Der flackernde Lichtschein der Kerze fällt in den vorderen Teil der Krypta, das Herz der Hölle versinkt jedoch in tiefstem Dunkel. Ich will zur Kerze zurückgehen, die auf der Schutthalde steht, aber irgendetwas hält mich zurück. Intuitiv spüre ich, dass es hier noch etwas zu entdecken gibt. Ich stapfe weiter, starre in die Finsternis, kann jedoch nichts erkennen.
Also zurück zur
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