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Das Testament des Satans

Das Testament des Satans

Titel: Das Testament des Satans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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Krypta Notre-Dame-sous-Terre
Viertel vor zwei Uhr nachts
    Niemand zu sehen, weder vor mir noch hinter mir. Und doch spüre ich etwas: die Anwesenheit von etwas Bedrohlichem, Gewalttätigem, Bösem. Wild pocht das Herz in meiner Brust.
    Ich warte ab, doch nichts geschieht.
    Also weiter!
    Als ich mit dem Ewigen Licht in der Hand das Promenoir betrete, höre ich plötzlich Schritte. Dann schlägt nicht weit entfernt ein Portal zu. Ich bleibe stehen und lausche. Die Schritte entfernen sich rasch. Als würde jemand fliehen.
    »Alessandra?«, rufe ich und ziehe meinen Dolch.
    Nur Donnergrollen.
    Mit hochgezogenen Schultern gehe ich weiter, die Klinge fest umklammert. Die Blitze erleuchten nur das erdrückend niedrige Gewölbe des Saals, während die Säulen im Dunkeln bleiben – es sieht aus, als schwebe über mir ein gigantisches Geflecht von pulsierenden schwarzen Adern aus geripptem Stein.
    An der Treppe hinunter zur Salle de l’Aquilon am Ende des Wandelgangs bleibe ich stehen. Doch abgesehen vom Tosen des Sturms ist es still. Langsam gehe ich die Stufen hinab in das Gewölbe. »Alessandra?«
    Ein leises Schluchzen weht mit dem eisigen Luftzug durch die Räume. Woher kommt es?
    Das Ewige Licht flackert und droht zu verlöschen. Mit meiner Kukulle schütze ich es vor dem Windhauch, aber vergeblich. Es zuckt wie irre weiter.
    Angespannt wage ich mich weiter vor. Hinter der Tür am Ende des Saals herrscht tiefe Finsternis. Ich gehe durch die Salle de l’Aquilon und dann die Stufen hinunter in einen dunklen Gang. Rechts rüttelt der Sturm am Portal zum Klostergarten an der Nordflanke, das eben zugeschlagen wurde. Links öffnet sich der Gang, der einige Schritte geradeaus führt und dann vor einer dicken Wand nach rechts zu den Kerkern abknickt.
    »Alessandra! Keine Angst, ich bin’s, Yannic.« Ich packe den Griff des Dolches noch fester.
    Ein gequältes Stöhnen, ein Schluchzen. Es ist nicht Alessandra.
    Langsam gehe ich den Gang entlang und halte das Ewige Licht vor mich. »Conan! Wo bist du?« Das Echo meiner Stimme hallt von den Wänden wider und verklingt. Plötzlich ist es still. »Conan!«
    »Yannic?« Eine Stimme aus dem Dunkel.
    »Ja.«
    Ein Schniefen hallt durch den Gang. »Bitte geh, Yannic!«
    »Lass mich dir doch helfen, Conan!«
    Er fängt wieder an zu weinen. »Nein!«
    »Conan …«
    »Verschwinde, lass mich allein!« Wieder bricht er in Tränen aus und schnieft: »Lass … mich … in Ruhe.«
    Gott im Himmel, was ist denn in ihn gefahren? Ich biege um die Ecke und sehe mich um. Keine Spur von meinem Freund.
    »Conan, wo bist du?«
    »Hau ab! Ich mein’s ernst.«
    Die dumpfe Stimme dringt aus dem Kerker. Ich durchquere den Raum und stehe nach wenigen Schritten im Verlies, einem Gewölbe mit zwei tiefen Schächten im Boden, in die die Gefangenen gesteckt werden. Als Letzte waren hier mehrere Engländer eingekerkert. Die Jumeaux, die Zwillinge, so heißen diese seltsamen Zellen, in denen die Gefangenen angekettet wurden, sind berüchtigt für ihre menschenverachtende Grausamkeit. Ich nenne sie die Vorhölle, den Wartesaal zur Hölle. Dort werden die Seelen eingesperrt, bevor sie zum Gericht geführt werden. Dort wartet man darauf, dass sich das Schicksal erfüllt.
    Jedes Mal, wenn ich herkomme, befällt mich ein lähmendes Gefühl der Beklemmung. Ich bin nicht nur für den Empfang der Pilger zuständig, sondern gemeinsam mit dem Bailli, dem Stellvertreter von Louis d’Estouteville, auch für die Versorgung der Gefangenen.
    Conan kauert neben den Kerkerschächten und hebt abwehrend die Arme. »Verschwinde!«
    »Mach ich«, besänftige ich ihn. »Aber erst sagst du mir, was mit dir los ist.« Dann erst sehe ich die Blutlache, die ihn umgibt. Ich stelle das Ewige Licht ab und knie mich neben ihn. »Um Gottes willen, Conan! So viel Blut …«
    Sein Habit ist nass von seinem Blut, sein Gesicht, seine Hände … Der blutige Dolch liegt in seinem Schoß. Ich nehme ihn weg.
    Conan ist bleich wie der Tod. Schweiß rinnt ihm wie Tränen über das Gesicht. In seinen Augen schimmert Entsetzen. »Lass mich«, murmelt er schwach.
    Erschüttert nehme ich seine bluttriefenden Hände und drehe sie um, sodass ich seine Handgelenke betrachten kann. Blut läuft aus den Schnittwunden und tropft auf meinen Habit. Mein Herz krampft sich zusammen, als ich an Rozenn denken muss. »Ist das ein Ausweg?«
    Er stöhnt heiser. »Es ist … der einzige Weg … aus dieser Hölle«, haucht er so leise, dass ich ihn kaum verstehen kann.

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