Das Teufelslabyrinth
Stufe nach der anderen nahm, seinen Rucksack um die gesunde Schulter geschlungen. Sie waren gerade auf der Hälfte der breiten Treppe angelangt, als die Eingangstür aufschwang und ein Mann mittleren Alters und eine Frau herauskamen. Der Mann trug eine schwere Truhe vor sich her und behielt dabei aufmerksam die Stufen im Auge, bis er auf gleicher Höhe mit Teri und Ryan war.
Er blieb stehen und deutete mit dem Kinn auf Ryan. »Ist das Ihrer?«, fragte er mit harscher Stimme und schmalen Augen.
Teri nickte.
Jetzt fixierte der Mann den Seesack, mit dem Teri sich abmühte. »Sie lassen ihn hier?« Teri öffnete die Lippen zu einer Erwiderung, doch er ließ sie erst gar nicht zu Wort kommen. »Sie müssen verrückt sein, wenn Sie Ihren Sohn hier lassen. Das ist kein guter Platz für Kinder.« Bedeutungsvoll senkte er den Blick auf die Truhe vor sich, und als er weitersprach, bebte seine Stimme. »Glauben Sie mir.«
»Wie bitte?«, sagte Teri verwundert, doch bevor der Mann noch etwas sagen konnte, nahm die Frau ihn beim Arm und zog ihn fort.
»Lass sie in Ruhe, Gordy«, flüsterte die Frau. »Lass uns einfach nach Hause gehen.« Unter den fragenden Blicken von Teri und Ryan hievte der Mann die Truhe auf den Rücksitz eines Wagens, der in zweiter Reihe vor der Schule stand, stieg ein und fuhr davon, noch bevor die Frau Zeit fand, ihren Sicherheitsgurt anzulegen.
»Wow«, machte Ryan, während der Wagen um die Kurve verschwand. »Was war das denn?«
Teri zuckte die Achseln. »Keine Ahnung, Schatz«, gab sie zurück und versuchte ganz unbesorgt zu klingen, obwohl sie am liebsten auf dem Absatz kehrtgemacht, ihren Sohn nach Hause gebracht und dort behalten hätte, wo er in Sicherheit war.
Für immer.
Was natürlich lächerlich war.
Eilig verscheuchte sie diese irrationalen Gedanken und ging ihrem Sohn voraus zu der monumentalen Eichentür von St. Isaac’s.
Als Bruder Francis die Tür zum Jungenschlaftrakt öffnete, fühlte sich Ryans Kopf genauso schwer an wie sein
schmerzender Körper. Die Flut von Formularen, die er am Morgen hatte ausfüllen müssen, war nur der Anfang gewesen. Dann hatte Bruder Francis mit ihm einen Rundgang durch die Schulgebäude unternommen, doch sie waren noch keine zehn Minuten durch endlose Korridore und Stiegenhäuser gewandert, da wusste Ryan bereits, dass er ohne einen Lageplan verloren war. Anschließend musste er eine Schuluniform nach der anderen anprobieren - die aus unerfindlichen Gründen nicht mit den üblichen Größen seiner normalen Kleidung versehen waren -, bis er eine Auswahl an blauen Blazern, Pullis, Hosen und Hemden gefunden hatte, die ihm passten, dazu eine Krawatte, die noch nicht völlig abgetragen war. Zum Schluss wurde ihm sein Stundenplan ausgehändigt, zusammen mit einer Liste der Hausregeln und Verbote, die er, wie es ihm schien, bis morgen auswendig können und ab heute befolgen musste.
Alles hier sah alt aus und abgenutzt, aber nicht so grindig und mit Graffiti beschmiert wie das Mobiliar an der Dickinson High. Die Wandvertäfelungen bestanden aus dunklem Mahagoni- und Walnussholz, jede einzelne Lampe erweckte den Eindruck, als würde sie schon über hundert Jahre dort hängen, und überall gab es Buntglasfenster. Aber keine Graffiti. Und keinen Staub - nicht eine Fluse -, woraus er geschlossen hatte, noch bevor Bruder Francis ihm die Hausregeln ans Herz legte, dass jeder Verstoß dagegen mit stundenlangen Putzdiensten geahndet wurde.
»Du teilst dir Zimmer 231 mit Clay Matthews«, erklärte der Mönch, als sie durch die letzte der schweren Eichentüren kamen, die Ryan, wie er insgeheim hoffte, heute würde öffnen müssen. Sie stiegen die Treppe in den ersten Stock hinauf und gingen durch einen langen
Flur, in dessen Mitte Bruder Francis leise an eine Tür klopfte und diese öffnete, ohne auf eine Antwort von drinnen zu warten.
Es war niemand im Zimmer. Die eine Hälfte war leer.
Seine Hälfte.
Der Mönch legte Ryans Gepäck vor dem leeren Bett ab. »Meine Bürotür ist immer offen«, sagte er. »Jetzt lasse ich dich allein, damit du dich einrichten kannst.« Auf dem Weg zur Tür drehte er sich noch einmal um und lächelte. »Willkommen in St. Isaac’s.«
»Danke«, erwiderte Ryan leise und versuchte, nicht so unglücklich zu klingen, wie er sich fühlte. Als Bruder Francis die Tür hinter sich zugezogen hatte, legte Ryan das Bündel mit den Schuluniformen auf den leeren Schreibtisch und schaute sich in seiner Zimmerhälfte um.
Wenigstens stand
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