Das Teufelslabyrinth
und trat leise an ihr Bett.
Sofia schlug die Augen auf.
»Hallo«, sagte Melody.
»Hallo, du.«
»Bist du okay?«
Sofia nickte. Melody nahm den Kleiderstapel vom Stuhl, legte ihn auf das freie Nachbarbett und setzte sich, während Schwester Ignatius wieder hinter dem Vorhang verschwand, um sich um die beiden neuen Patienten zu kümmern. »Was ist denn passiert?«
Sofia sah sie kaum an. »Keine Ahnung«, seufzte sie. »Ich war in dieser Kapelle - die, von der ich dir erzählt habe -, und Pater Sebastian hat mir die Absolution erteilt, und dann weiß ich nur noch, dass ich hier aufgewacht bin.«
»Du meinst, du bist ohnmächtig geworden?« Melody war überzeugt, dass da noch mehr dahintersteckte als das, was Schwester Ignatius ihr erzählt hatte.
Sofia zuckte mit den Schultern. »Nehme ich mal an. Doktor Conover kommt nachher und untersucht mich, und wenn alles in Ordnung ist, lassen sie mich wieder gehen.«
Melody zog skeptisch die Stirn kraus. »Merkwürdig.«
»Schon irgendwie«, meinte Sofia.
Eigentlich wollte Melody ihrer Freundin erzählen, was sie und Ryan am Abend zuvor gemacht hatten, dass sie nach »Licht aus« durch die unterirdischen Tunnel geschlichen waren und sahen, wie jemand sie über die Hintertreppe in die Krankenstation getragen hatte, aber da sie nur ein dünner Vorhang von Schwester Ignatius trennte, konnte sie das nicht riskieren. »Bei der Morgenandacht habe ich für dich gebetet«, sagte sie laut genug, dass die Nonne sie auch wirklich hören konnte. Sie war sicher, dass sie für ihre Worte von Sofia mit einem genervten Augenverdrehen oder einer sarkastischen Bemerkung belohnt würde, doch ihre Freundin schloss einfach nur die Augen.
»Das ist nett«, sagte Sofia verschlafen.
Melody legte den Kopf schief und betrachtete ihre Freundin argwöhnisch. »Sofia?«, sagte sie dann und berührte ihren Arm.
»Hmm?« Sofia machte die Augen nicht auf, zog aber ihren Arm weg.
»Ich mache mir Sorgen um dich.«
»Musst du nicht, mir geht’s gut.«
»Melody?« Schwester Ignatius hatte die Vorhänge ein Stück weit auseinandergeschoben. »Wenn du dich nicht sputest, kommst du zu spät zum Unterricht.«
»Okay«, antwortete Melody, den Blick immer noch auf Sofia gerichtet. »Brauchst du irgendwas?«
Sofia schüttelte bloß den Kopf.
»Also gut«, sagte Melody und stand auf. »Bis später dann.«
Sofia antwortete nicht.
Hatten sie ihr ein Beruhigungsmittel gegeben?
Melody legte Sofias Kleider zurück auf den Stuhl und strich das Laken des anderen Betts wieder glatt.
»Tschüss«, sagte sie leise.
Sofia ließ nicht erkennen, ob sie sie überhaupt gehört hatte.
Melody schlüpfte an der Nonne vorbei, die jetzt bei den kranken Schülern Fieber maß, winkte ihr ein Dankeschön zu und schloss sich kurz darauf der langen Reihe von Schülern an, die zur ersten Stunde in ihre Klassenzimmer gingen.
Doch sie musste immer wieder an Sofia denken.
Sofia, die gesagt hatte, es ginge ihr gut.
Und überhaupt nicht so ausgesehen hatte.
Eigentlich war es beinahe so, als sei Sofia gar nicht da gewesen. Die Sofia, die sie kannte, hätte Melody den vergangenen Abend in allen Einzelheiten geschildert und sich an jedes Gefühl vor ihrer Ohnmacht erinnert. Außerdem war Sofia noch nie krank gewesen oder auch nur ohnmächtig geworden und hatte schon allein die Vorstellung einer Krankenstation so gehasst, dass sie sich nicht hatte überwinden können, Melody dort zu besuchen, als diese einmal krank war. Wenn ihr also nichts fehlte, warum hatte sie dann nicht darauf bestanden, dass man sie sofort entließ?
Warum blieb sie dort liegen?
Vielleicht sollte sie Sofias Vater anrufen. Aber andererseits, was brächte das? Laut Sofia war ihr Vater mehr oder weniger ständig betrunken, seit ihre Mutter vor drei Jahren die Familie verlassen hatte.
Nein, sie wartete besser bis zum Mittagessen, wenn sie und Ryan mit ihr am Tisch saßen. Dann konnten sie ihr berichten, was sie letzte Nacht gesehen hatten, und sie könnte Sofias Reaktion auf die Geschichte beobachten.
Ja, sie würde sie sehr genau beobachten.
27
Kardinal Guillermo Moriscos Magen knurrte vernehmlich, als er den letzten Eintrag in seinem persönlichen Tagebuch vornahm, anschließend die ledergebundene Kladde schloss und in die Lücke neben der marmornen Buchstütze schob. Die schmalen Streifen Tageslicht, die gegen Ende des Tages seinen Schreibtisch kreuzten, waren schon vor Stunden verblasst, und hinter den Fenstern sah man nur noch das Flimmern der
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