Das Teufelslabyrinth
nächtlich beleuchteten Stadt Rom. Die Besucher und die meisten Angestellten hatten den Vatikan schon lange verlassen; wer noch da war, das waren diejenigen, die viel zu oft viel zu lange arbeiteten - und in dieser Gruppe nahm Kardinal Morisco schon seit Jahrzehnten die Spitzenposition ein - und natürlich das Wachpersonal, das zwar auch bis spät in die Nacht hinein Dienst tat, aber längst nicht so lange wie der Kardinal. Dennoch liebte es der Kardinal, weit über seine eigentliche Dienstzeit hinaus in seinem Büro zu verweilen, da er in der Stille der Nacht sehr viel mehr Arbeit erledigen konnte als in den betriebsamen Tagesstunden.
Aber irgendwann war es genug, was ihm sein knurrender Magen auch schon seit gut einer Stunde bedeutete. Er hatte auch bereits den Geschmack seines Lieblingsweins auf der Zunge, Sagrantino di Montefalco, der ganz aus der Nähe seines Heimatortes in Umbrien stammte. Heute Abend würde er sich einen leichten Capri-Salat bestellen, dazu eine Bruschetta mit würzigem Olivenaufstrich und sich anschließend gleich zu Bett begeben. Es war ein langer Tag gewesen.
Er schloss soeben seine Schreibtischschublade ab, als das Fax im Büro seines Sekretärs zu rattern begann.
Wenn er es nicht beachtete, könnte er in wenigen Minuten bei Gianni sitzen.
Andernfalls bestand die Möglichkeit, dass er noch eine weitere Stunde hier in seinem Büro verbringen musste.
Er hörte das Fax vier Seiten ausdrucken, ehe es wieder verstummte, und obgleich er sich ermahnte, diese bis zum nächsten Morgen in der Ablage des Gerätes zu belassen, fühlte er sich von der Nachricht angezogen wie eine Motte von einer Kerzenflamme.
Ein kurzer Blick konnte ja nicht schaden, sagte er sich. Wenn es wirklich wichtig gewesen wäre, hätte sein Telefon geklingelt. Er versuchte das Bild einer in einer Kerzenflamme verglühenden Motte zu ignorieren, aber dafür war es bereits zu spät.
In dem Augenblick, als er schließlich doch die vier Faxausdrucke aus der Ablage nahm, zeigte der Computer auf seinem Schreibtisch mit einem »Ping« den Eingang einer E-Mail an.
In der sicheren Annahme, dass die beiden eingelangten Nachrichten miteinander zu tun hatten, stieß Morisco einen tiefen Seufzer aus und machte sich mit dem Gedanken vertraut, dass er vorerst auf seinen geliebten Sagrantino
verzichten musste. So wie jetzt erging es ihm beinahe jeden Abend, und als er die Ausdrucke zu seinem Schreibtisch trug, schwor er sich - und nicht zum ersten Mal -, sein Büro zukünftig vor Einbruch der Dunkelheit zu verlassen.
Ja, ab morgen!
Das Deckblatt der Faxnachricht zeigte an, dass es von Erzbischof Rand in Boston kam.
Kardinal Morisco setzte sich wieder an seinen Schreibtisch und begann den Bericht eines gewissen Pater Ernest Laughlin zu lesen, in dem es offenbar um einen erfolgreich durchgeführten Exorzismus an einer Privatschule ging. Amüsiert über den etwas schwülstigen Schreibstil dieses Paters, arbeitete sich Morisco durch den Bericht.
»Niemals zuvor habe ich das Gesicht des personifizierten Bösen geschaut«, schrieb der Priester. »Wobei ich nicht nur mit eigenen Augen gesehen habe, wie diese Teufelsfratze aus dem Antlitz dieses Mädchens hervorgegangen ist, sondern auch Zeuge geworden bin, wie Pater Sebastian Sloane den Dämon unterworfen und aus dem Körper des Mädchens getrieben hat, dessen Seele nun wieder Frieden gefunden hat.«
Kardinal Morisco trommelte mit den Fingern auf die Tischplatte, während er den Bericht ein zweites Mal überflog. Er unterschied sich nicht wesentlich von all den anderen, die im Laufe der Jahre auf seinem Schreibtisch gelandet waren und von irgendwelchen Provinzpriestern stammten, die hofften, damit ihre Karriere voranzutreiben. Erst beim nochmaligen Lesen des letzten Satzes erkannte er, dass dieser Bericht doch einige Unterschiede aufwies.
Zunächst einmal war da der Umstand, dass Pater Sebastian daran teilhatte, der junge Mann, den der Vatikan
schon seit etlichen Jahren beobachtete und der sich mit jedem Jahr mehr Respekt von hochrangigen Klerikern verdiente.
Zum Zweiten war da die Versicherung des Zeugen, dass er tatsächlich das Gesicht des Dämons gesehen habe.
Und das war wichtig.
Kardinal Morisco legte den Bericht auf seinen Schreibtisch und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Es wäre wirklich von großer Bedeutung, wenn Pater Sebastian diese Teufelsaustreibung gelungen wäre, besonders, da aus Boston in den letzten Jahren nur ganz selten gute Nachrichten nach Rom gelangt
Weitere Kostenlose Bücher