Das Teufelsspiel
Eine Sitar oder so aus Indien oder Pakistan oder wer weiß woher. Aber Boyd traf die Töne recht gut. Morden und pfeifen – damit kannte dieser Mann sich aus.
Das Mädchen hinter dem Tresen stellte geräuschvoll ein Tablett voller Teller ab. Als die Gäste sich bei dem lauten Klirren zu ihr umwandten, spürte Wilson, wie unter dem Tisch etwas sein Bein berührte. Er nahm den Umschlag, schob ihn in die Tasche seiner weiten Hose und dachte, dass er sich überraschend dünn für fünftausend Dollar anfühlte. Aber er machte sich keine Sorgen. Auf eines konnte man sich bei Boyd verlassen: Er zahlte, was er schuldig war, und das stets pünktlich.
Ein Moment verging. Sie würden also nicht zusammen essen. Sie saßen einfach da, Thompson trank Tee und Wilson war hungrig. Obwohl Boyd doch »in ein oder zwei Minuten« aufbrechen musste.
Was hatte das zu bedeuten?
Dann bekam er seine Antwort. Boyd sah aus dem Fenster und entdeckte einen verbeulten weißen Lieferwagen ohne Firmenaufdruck, der langsamer wurde und in die Gasse einbog, die zur Rückseite des Restaurants führte. Wilson erhaschte einen flüchtigen Blick auf den Fahrer, einen kleinen Mann mit hellbrauner Haut und einem Vollbart.
Thompson ließ den Wagen nicht aus den Augen. Sobald das Fahrzeug in der Gasse verschwunden war, stand er auf und nahm die Einkaufstüte. Er legte das Geld für die Rechnung auf den Tisch und nickte Wilson zu. Dann ging er zur Tür. Nach zwei Schritten hielt er inne und drehte sich um. »Habe ich Ihnen schon gedankt?«
Wilson sah ihn ungläubig an. »Ob Sie …?«
»Habe ich mich schon bedankt?« Ein Blick auf die Tüte.
»Äh, nein.« Thompson Boyd, der lächelte und sich bedankte. Wahrscheinlich war Vollmond.
»Ich weiß es zu schätzen«, sagte der Killer. »Ihre saubere Arbeit, meine ich. Wirklich.« Er klang wie ein schlechter Schauspieler. Dann – und das war ebenfalls merkwürdig – zwinkerte er dem Mädchen hinter der Theke zum Abschied zu und trat hinaus auf die geschäftigen Straßen des Finanzviertels. Mit der schweren Tüte in der Hand ging er in die Gasse und weiter zur Rückseite des Gebäudes.
… Vierundzwanzig
Roland Bell hielt mit seinem neuen Crown Victoria vor Genevas Haus an der Hundertachtzehnten Straße.
Barbe Lynch nickte ihnen von ihrem Wachposten aus zu: dem Chevy Malibu, den Bell wieder zurückgegeben hatte. Er brachte Geneva nach drinnen und lief mit ihr die Treppe zur Wohnung hinauf, wo ihr Onkel sie in die Arme schloss und Bell ein weiteres Mal die Hand schüttelte, um ihm zu danken, dass er auf das Mädchen Acht gab. Dann sagte er, er wolle ein paar Dinge aus dem Lebensmittelladen besorgen, und machte sich auf den Weg.
Geneva ging in ihr Zimmer. Bell warf einen kurzen Blick hinein und sah sie auf dem Bett sitzen. Sie öffnete ihre Büchertasche und kramte darin herum.
»Kann ich etwas für dich tun, junge Dame? Hast du Hunger?«
»Ich bin ziemlich müde«, sagte sie. »Ich glaube, ich mache jetzt einfach meine Hausaufgaben. Vielleicht leg ich mich eine Weile aufs Ohr.«
»Gute Idee, nach allem, was du durchgemacht hast.«
»Wie geht es Officer Pulaski?«, fragte sie.
»Ich habe vorhin mit seinem Vorgesetzten gesprochen. Der Junge ist immer noch bewusstlos. Man weiß nicht, ob und wie er es übersteht. Ich wünschte, ich hätte bessere Neuigkeiten, aber so ist es nun mal. Nachher schaue ich im Krankenhaus vorbei und sehe nach ihm.«
Sie nahm ein Buch und reichte es Bell. »Könnten Sie ihm das hier geben?«
Der Detective nahm es. »Das werde ich, du kannst dich drauf verlassen … Aber ich weiß nicht, ob er in der Lage sein wird, es zu lesen, auch falls er aufwacht.«
»Hoffen wir das Beste. Falls er aufwacht, könnte ihm ja jemand daraus vorlesen. Vielleicht hilft das. Manchmal hilft es tatsächlich. Einfach nur eine Geschichte zu hören. Ach, und sagen Sie ihm oder seiner Familie, dass ein Glücksbringer drin liegt.«
»Das ist wirklich nett von dir.« Bell schloss die Tür und ging ins Wohnzimmer, um seine Söhne anzurufen und ihnen zu sagen, dass er bald nach Hause kommen würde. Dann funkte er nacheinander die Mitglieder seines Teams an. Es gab keine besonderen Vorkommnisse.
Der Detective setzte sich auf das Sofa und hoffte, dass Genevas Onkel ordentlich einkaufte. Seine arme Nichte brauchte eindeutig mehr Fleisch auf den Knochen.
Alonzo »Jax« Jackson befand sich auf dem Weg zu Geneva Settles Wohnung und folgte soeben einem der schmalen Durchgänge, die hier
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