Das Teufelsspiel
Kleidung, in Rhymes Labor und betrachtete, was ihr eine Stunde zuvor aus der trockenen Zisterne in den Schoß gerollt war.
Es war keine alte Bombe. Doch es bestand wenig Zweifel daran, dass tatsächlich Charles Singleton es am Abend des 15. Juli 1868 in jenem Schacht zurückgelassen hatte.
Rhymes Rollstuhl stand neben Sachs vor dem Tisch, und gemeinsam schauten sie in den Karton. Cooper streifte sich soeben Latexhandschuhe über.
»Wir müssen es Geneva sagen«, sagte Rhyme.
»Müssen wir wirklich?«, merkte Sachs zögernd an. »Ich will aber nicht.«
»Was müssen Sie mir sagen?«
Sachs wandte sich hastig um. Rhyme setzte vom Tisch zurück und wendete verärgert den Storm Arrow. Verdammt, dachte er. Ich hätte vorsichtiger sein müssen.
Geneva Settle stand im Eingang.
»Sie haben im Keller dieses Gasthauses etwas über Charles herausgefunden, nicht wahr? Hat er das Geld doch gestohlen? War das sein Geheimnis?«
Rhyme warf Sachs einen kurzen Blick zu. »Nein, Geneva«, sagte er dann. »Nein. Wir haben etwas anderes gefunden.« Er nickte in Richtung des Kartons. »Hier. Sieh selbst.«
Geneva kam näher. Dann hielt sie ungläubig inne und starrte den braunen Totenschädel an, die vermeintliche Kugel auf dem Ultraschallbild. Mit der Hilfe von Vegas, Gail Davis’ Briard, hatte Amelia auch die restlichen Gebeine geborgen, die ihr ursprünglich wie die Reste einer Kiste vorgekommen waren. Rhyme hatte unterdessen festgestellt, dass es sich um die Knochen eines Mannes handelte. Die Leiche war offenbar vertikal in die Zisterne hinabgelassen worden, kurz bevor Charles im Keller des Gasthauses Feuer gelegt hatte. Das Ultraschallgerät hatte die Oberseite des Schädels und darunter eine Rippe erfasst, die zusammen wie eine Bombe mit Lunte wirkten.
Die Knochen lagen in einem zweiten Karton auf dem Labortisch.
»Wir sind ziemlich sicher, dass Charles diesen Mann getötet hat.«
»Nein!«
»Und dann hat er die Kneipe in Brand gesetzt, um die Tat zu vertuschen.«
»Das können Sie doch gar nicht wissen«, protestierte Geneva.
»Stimmt. Aber es ist eine nahe liegende Schlussfolgerung«, sagte Rhyme. »In seinem Brief stand, er habe Potters’ Field aufgesucht, bewaffnet mit seinem Navy Colt. Das war eine Pistole aus dem Bürgerkrieg. Sie funktionierte nicht wie die heutigen Revolver, bei denen von hinten Patronen in die Trommel geschoben werden. Man musste jede einzelne der Kammern von der Vorderseite mit einer Kugel und Schießpulver laden.«
Geneva nickte. Ihr Blick war auf die braunen und schwarzen Knochen und den augenlosen Schädel gerichtet.
»Wir haben in unserer Datenbank nachgesehen. Diese Waffen hatten das Kaliber 36, aber die meisten Soldaten gewöhnten sich an, sie mit Kugeln des Kalibers 39 zu laden. Die sind nämlich etwas größer und sitzen enger in der Kammer. Auf diese Weise gewinnt die Waffe an Zielsicherheit.«
Sachs nahm eine kleine Plastiktüte. »Das hier haben wir im Innern des Schädels gefunden.« In der Tüte lag eine Bleikugel von etwa einem Zentimeter Durchmesser. »Es ist eine 39er Kugel, die aus einer 36er Waffe abgefeuert wurde.«
»Aber das beweist gar nichts.« Geneva starrte das Loch in der Stirn des Schädels an.
»Nein«, sagte Rhyme sanft. »Es lässt lediglich Rückschlüsse zu. Und die deuten sehr darauf hin, dass Charles ihn getötet hat.«
»Wer war er?«, fragte Geneva.
»Wir haben nicht die geringste Ahnung. Falls er irgendwelche Papiere bei sich hatte, sind sie entweder verbrannt oder zerfallen, genau wie seine Kleidung. Wir haben die Kugel gefunden, eine kleine Pistole, die vermutlich ihm gehört hat, ein paar Goldmünzen und einen Ring mit der Prägung … was war das doch gleich, Mel?«
»›Winskinskie‹.« Cooper hielt eine Plastiktüte hoch, in der ein goldener Siegelring lag. Über der Inschrift war das Profil eines Indianers zu erkennen.
Der Techniker hatte schnell herausbekommen, dass dieses Wort aus der Sprache der Delaware stammte und »Türmann« oder »Torwächter« bedeutete. Eventuell war es der Name des Toten, wenngleich die Schädelanatomie nicht der eines Indianers entsprach. Rhyme vermutete dahinter eher den Wahlspruch irgendeiner Bruderschaft, Schule oder Loge. Cooper hatte daraufhin per E-Mail Anfragen an mehrere Anthropologen und Geschichtsprofessoren geschickt.
»Charles würde so etwas nicht tun«, sagte Geneva leise. »Er würde niemanden ermorden.«
»Die Kugel hat den Mann in die Stirn getroffen«, sagte Rhyme. »Nicht in den
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