Das Teufelsspiel
wert gewesen, die Schrotflinte durchzuladen und sie dem Fahrer des Geldtransports ins Gesicht zu drücken, bloß um fünfzig- oder sechzigtausend Dollar zu erbeuten? Hätte das gereicht, um über die Runden zu kommen und sein Leben wieder in den Griff zu kriegen?
Und er wusste, zum Teufel noch mal, dass Ralphs Frage keinen Sinn ergab, denn sie setzte voraus, dass er eine Wahl hatte. Damals wie heute, richtig oder falsch, es spielte keine Rolle. Alonzo »Jax« Jackson zog die Sache durch. Falls das hier klappte, würde er sein ihm zustehendes Leben in Harlem zurückbekommen, seiner Heimat, die ihn – im Guten wie im Bösen – zu dem gemacht hatte, der er war. Und der er wiederum seinen Stempel aufgedrückt hatte, mit Tausenden von Dosen Sprühfarbe. Er tat nur, was er tun musste.
Vorsichtig.
Thompson Boyd befand sich in seinem Versteck in Queens. Er trug eine Gasmaske und dicke Handschuhe, mischte behutsam Säure und Wasser und überprüfte die Sättigung.
Vorsichtig …
Nun kam der knifflige Teil. Das Zyankalipulver war zwar gefährlich – die Menge reichte, um dreißig oder vierzig Leute zu töten –, aber in seiner getrockneten Form relativ stabil. Genau wie bei der Falle, die er in dem Polizeiwagen installiert hatte, musste das weiße Pulver zunächst mit Schwefelsäure vermischt werden, um sich in tödliches Gas zu verwandeln (das berüchtigte Zyklon B, das die Nazis in ihren Vernichtungslagern benutzt hatten).
Die Säure war dabei der entscheidende Faktor. Eine zu schwache Konzentration würde nur langsam Gas produzieren und den Opfern ermöglichen, den Geruch wahrzunehmen und zu fliehen. Eine zu starke Konzentration hingegen – mit einer Sättigung von mehr als zwanzig Prozent – würde das Zyankali zur Explosion bringen, bevor es sich auflösen konnte, wodurch ein Großteil der beabsichtigten Wirkung verflog.
Thompson musste eine Sättigung erzielen, die möglichst dicht unter zwanzig Prozent lag – und zwar aus einem einfachen Grund: Der geplante Einsatzort – das alte Haus am Central Park West, in dem Geneva Settle sich aufhielt – war kein luftdicht abgeschlossener Raum. Nachdem er das Versteck des Mädchens erfahren hatte, war Thompson vor Ort gewesen, um sich selbst einen Eindruck zu verschaffen. Dabei hatte er die geöffneten Fenster und die alte Heizungs- und Klimaanlage bemerkt. Es würde eine echte Herausforderung sein, das große Gebäude in eine Gaskammer zu verwandeln.
… Sie sollten sich keine falschen Vorstellungen machen. Was wir hier tun, ist wie alles andere im Leben. Nichts geht jemals hundertprozentig glatt. Nichts läuft exakt so, wie wir das gern möchten …
Erst gestern hatte er seinem Auftraggeber versprochen, der nächste Anschlag auf das Mädchen werde erfolgreich verlaufen. Nun aber war er sich dessen nicht mehr so sicher. Die Polizei stellte sich viel zu geschickt an.
… also treffen wir unsere Vorkehrungen und machen weiter. Wir dürfen uns nicht beirren lassen.
Er ließ sich weder beirren noch machte er sich Sorgen. Aber er musste drastische Maßnahmen ergreifen – an mehreren Fronten. Falls Geneva durch das Giftgas in diesem Haus getötet wurde, prima. Aber das war nicht sein Hauptziel. Er musste zumindest einige der anderen Leute dort ausschalten – die Ermittler, die nach ihm und seinem Auftraggeber suchten. Ob er sie nun umbrachte, ins Koma versetzte oder ihnen Hirnschäden zufügte, war egal. Es ging darum, sie unschädlich zu machen.
Thompson überprüfte ein weiteres Mal die Sättigung und erhöhte sie ein wenig, um die Veränderung des ph-Werts durch die Luft auszugleichen. Seine Hände fingen an zu zittern, also hielt er kurz inne, um sich zu beruhigen.
Sssst …
Der Song, den er vor sich hin gepfiffen hatte, wurde zu »Stairway to Heaven«.
Thompson lehnte sich zurück und dachte darüber nach, wie er die Gasbombe in das Haus bekommen könnte. Ihm fielen gleich mehrere Möglichkeiten ein – darunter eine oder zwei, die sicherlich gut funktionieren würden. Er prüfte erneut die Sättigung der Säure und pfiff dabei in das Mundstück der Gasmaske. Das Messgerät zeigte eine Konzentration von 19,99394 Prozent an.
Perfekt.
Sssst …
Die neue Melodie, die in seinem Kopf erklang, war die Ode »An die Freude« aus Beethovens neunter Symphonie.
Amelia Sachs war weder von einem Erdrutsch zerquetscht noch durch eine instabile Bombe aus dem neunzehnten Jahrhundert in die Luft gesprengt worden.
Sie stand nun, geduscht und in sauberer
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