Das Teufelsspiel
Mut bewiesen hatte, am meisten aber während seines letzten Kampfes – gegen den Krebs, der zwar sein Leben beendete, dem er sich jedoch nie geschlagen gab. Seine Tochter war damals bereits Polizistin, und er erteilte ihr so manchen beruflichen Rat. Bei einer Gelegenheit sagte er zu ihr, dass sie sich bisweilen gezwungen sehen würde, einer Gefahr oder Herausforderung ganz allein entgegenzutreten. »Ich nenne das ›mit harten Bandagen kämpfen‹, Amie. Du musst dich dann einfach durchsetzen. Das kann gegen einen Straftäter sein, aber auch gegen einen Partner. Vielleicht sogar gegen das ganze NYPD.«
Manchmal, sagte er, fand der härteste Kampf in deiner eigenen Seele statt.
Sellitto wusste, was zu tun war. Er musste als Erster diese Wohnung betreten. Aber nach dem gestrigen Vorfall beim Museum ließ ihn schon der Gedanke vor Angst erstarren.
Harte Bandagen … Würde er es schaffen oder nicht?
Haumann teilte seine Leute in drei Gruppen ein und schickte einige Beamte zu den Kreuzungen, um den Verkehr anzuhalten. Einen Mann platzierte er direkt neben dem Hauseingang. Er würde dafür sorgen, dass niemand mehr das Gebäude betrat – und Boyd verhaften, sofern dieser zufällig beschließen sollte, ausgerechnet jetzt seine Wohnung und das Haus zu verlassen. Ein Beamter stieg auf das Dach, einige weitere ESU-Cops sicherten die Nachbarwohnungen – falls Boyd versuchen würde, auf ähnliche Weise wie in der Elizabeth Street zu fliehen.
Dann wandte Haumann sich an Sachs. »Gehen Sie mit uns rein?«
»Ja«, erwiderte sie. »Jemand von der Spurensicherung sollte dabei sein. Wir wissen immer noch nicht, wer diesen Mistkerl angeheuert hat, und wir müssen es unbedingt herausfinden.«
»Zu welchem Team möchten Sie?«
»Zu dem, das durch die Wohnungstür eindringt.«
»Also zu Jenkins.«
»Jawohl, Sir.« Dann wies sie ihn auf die anderen Wohnhäuser hin und erinnerte daran, dass Boyd bei einem Fluchtversuch womöglich auf Zivilisten schießen würde. Haumann nickte. »Ich brauche jemanden, der dafür sorgt, dass die Leute zumindest nicht an den Fenstern stehen oder sich auf die Straße wagen.«
Natürlich wollte niemand diesen Job. Falls man sich die ESU-Beamten als Cowboys vorstellte, hatte Haumann soeben um einen Freiwilligen gebeten, der den Koch spielen würde.
Da ertönte plötzlich eine Stimme. »Ach, was soll’s, ich übernehme das.« Es war Lon Sellitto. »Die perfekte Aufgabe für einen alten Knacker wie mich.«
Sachs sah ihn an. Der Detective hatte es nicht geschafft. Seine Nerven hatten versagt. Er lächelte unbekümmert und gleichzeitig so traurig, wie Sachs es noch nie im Leben gesehen hatte.
»An alle Einsatzteams«, sagte Haumann in sein Mikrofon. »In Stellung gehen. Und die Überwachungsteams geben uns bei der kleinsten Veränderung Bescheid. Kommen.«
»Roger. Ende.«
»Es geht los, Rhyme«, sagte Sachs. »Ich halte dich auf dem Laufenden.«
»Okay«, lautete die knappe Antwort.
Das war alles. Es gefiel ihm nicht, dass Sachs an einem solchen Einsatz teilnahm. Doch er wusste, wie sehr sie unter Druck stand, wie jede Gefährdung eines Unschuldigen sie in Rage brachte und wie wichtig es ihr war, dafür zu sorgen, dass Täter wie Thompson Boyd nicht ungestraft davonkamen. Dies war nun mal ein Teil ihres Wesens, und Rhyme hätte nie versucht, sie in einem solchen Moment zurückzuhalten.
Darüber freuen würde er sich trotzdem nicht.
Doch dann verblasste der Gedanke an Lincoln Rhyme, denn alle nahmen ihre Positionen ein.
Sachs und Sellitto gingen die Gasse hinauf; sie, um sich dem Zugriffsteam anzuschließen; er, um auf der anderen Straßenseite die Zivilisten aus der Gefahrenzone zu schaffen. Das unechte Lächeln des Lieutenants war verschwunden. Sein Gesicht wirkte aufgedunsen und war trotz der kühlen Temperatur mit Schweißperlen übersät. Er wischte es ab, kratzte sich an dem unsichtbaren Blutfleck und bemerkte, dass Sachs ihn ansah. »Diese beschissene Weste. Mir ist zu warm.«
»Ich kann das Ding auch nicht leiden«, sagte Amelia. Sie gingen schweigend weiter, bis sie hinter Boyds Apartment ankamen, wo die Einsatzkräfte sich sammelten. Auf einmal packte Sachs den Detective am Arm und zog ihn zurück. »Da hat sich was bewegt …« Doch dicht vor der Hauswand stolperte Sachs über einen Müllsack und fiel hart auf ein Knie. Sie keuchte auf und hielt sich das Bein.
»Alles in Ordnung?«
»Ja«, sagte sie und rappelte sich mit verzerrter Miene auf. »Hier Fünf Acht Acht Fünf«,
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