Das Teufelsspiel
schwarze Hose und Laufschuhe, was wohl der aktuellen Mode an den Highschools entsprach, schätzte Rhyme. Sellitto hatte gesagt, das Mädchen sei sechzehn, aber sie sah jünger aus. Während Lakeeshas Frisur aus dünnen goldenen und schwarzen Zöpfen bestand, so straff geflochten, dass dazwischen die Kopfhaut sichtbar wurde, trug Geneva ihr Haar kurz.
»Ich habe den Mädchen gesagt, wer Sie sind, Captain«, erklärte Robinson und sprach ihn dabei mit dem Dienstgrad an, den er bis vor einigen Jahren innegehabt hatte. »Und dass Sie ihnen einige Fragen über die heutigen Vorfälle stellen werden. Geneva möchte zurück zur Schule, aber ich habe gesagt, das müsse noch warten.«
»Wir schreiben heute ein paar Tests«, sagte Geneva.
Lakeesha stieß ein missbilligendes Geräusch zwischen den strahlend weißen Zähnen hervor.
»Genevas Eltern sind derzeit im Ausland, kommen aber mit dem nächstmöglichen Flug zurück«, erklärte Robinson. »Für die Dauer der Abwesenheit hat sich ihr Onkel um sie gekümmert.«
»Wo genau sind deine Eltern?«, fragte Rhyme.
»Mein Vater wurde zu einer Tagung nach Oxford eingeladen.«
»Er ist Wissenschaftler?«
Sie nickte. »Professor für Literatur. Am Hunter College.«
Rhyme war überrascht, dass ein junges Mädchen aus Harlem das Kind intellektueller und weit gereister Eltern sein konnte. Noch im selben Moment machte er sich deswegen Vorwürfe. Es ärgerte ihn, dass er so bereitwillig anhand eines Klischees voreilige Schlüsse gezogen hatte. Die Kleine mochte zwar wie ein Gangmitglied angezogen sein, doch er hätte sich denken können, dass sie aus akademischem Hause stammte. Immerhin hatte man sie in einer Bibliothek überfallen, nicht beim Herumgammeln an irgendeiner Straßenecke oder vor dem Fernseher.
Lakeesha zog eine Schachtel Zigaretten aus der Handtasche.
»Hier drinnen …«, setzte Rhyme an.
Thom kam zur Tür herein. »… wird nicht geraucht.« Er nahm dem Mädchen die Schachtel ab und steckte sie zurück in die Tasche. Dann lächelte er. Es schien ihn nicht im Mindesten aus der Fassung zu bringen, hier unvermittelt zwei Teenager anzutreffen. »Möchte jemand eine Limonade?«
»Haben Sie Kaffee?«, fragte Lakeesha.
»Ja, habe ich.« Thom schaute zu Jennifer Robinson und Rhyme, die beide die Köpfe schüttelten.
»Ich mag ihn gern stark«, verkündete das rundliche Mädchen.
»Ach, tatsächlich?«, fragte Thom. »Ich ebenfalls.« Und an Geneva gewandt: »Möchtest du auch etwas?«
Das Mädchen schüttelte den Kopf.
Rhyme warf einen sehnsüchtigen Blick zu der Flasche Scotch, die in der Nähe auf einem Regal stand. Thom bemerkte es und lachte. Dann ging er weg.
»Ich muss zurück zum Revier«, sagte Officer Robinson.
»Wirklich?«, fragte Rhyme bestürzt. »Können Sie nicht noch ein Weilchen bleiben?«
»Leider nicht, Sir. Aber falls Sie sonst noch etwas brauchen, lassen Sie es mich einfach wissen.«
Wie wär’s mit einem Babysitter?
Rhyme glaubte nicht an Schicksal, andernfalls wäre ihm die Ironie der Situation nicht entgangen: Er hatte den Fall übernommen, um sich vor dem Test im Krankenhaus zu drücken. Zur Strafe dafür musste er nun eine überaus unangenehme Zeitspanne in Gegenwart zweier Schulmädchen erdulden. Junge Leute waren nicht seine Stärke.
»Bis dann, Captain.« Robinson ging hinaus.
»Ja«, murmelte er.
Wenig später kehrte Thom mit einem Tablett zurück, schenkte Lakeesha eine Tasse Kaffee ein und reichte Geneva einen Becher Kakao, wie Rhyme riechen konnte.
»Ich hab mir gedacht, du möchtest vielleicht doch etwas«, sagte der Betreuer. »Falls nicht, lass es einfach stehen.«
»Nein, das ist prima. Danke.« Geneva starrte auf die heiße Flüssigkeit. Nippte daran, nippte ein zweites Mal, ließ den Becher sinken und blickte zu Boden. Dann trank sie noch ein paar Schlucke.
»Alles in Ordnung?«, fragte Rhyme.
Geneva nickte.
»Bei mir auch«, sagte Lakeesha.
»Hat er euch beide angegriffen?«, fragte Rhyme.
»Nein, mich nicht.« Lakeesha musterte ihn von oben bis unten. »Ist das wie bei diesem Schauspieler, der sich den Hals gebrochen hat?« Sie schlürfte ihren Kaffee, rührte mehr Zucker hinein. Schlürfte erneut.
»Ganz recht.«
»Und Sie können sich nicht bewegen?«
»Kaum.«
»Mist.«
»Keesh«, flüsterte Geneva. »Halt dich zurück.«
»Aber das ist doch wirklich Mist.«
Dann wieder Stille. Nur acht Minuten waren seit ihrem Eintreffen vergangen. Sie kamen Rhyme wie Stunden vor. Was sollte er tun? Thom
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