Das Tibetprojekt
wo er wohl sein mochte, legte jemand eine warme Hand auf seine Schulter und begrüßte ihn mit den
Worten: »Willkommen zurück im Leben!«
Patrick wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte, aber er fühlte sich besser. Er sah Decker mit Tränen in den Augen an.
»Ich wollte nicht mehr.«
Decker schmunzelte: »Das wäre es nicht wert gewesen.«
»Was wissen Sie schon, Dr. Decker!«
»Mehr als Sie ahnen. Zum Beispiel, dass Sie Ihr Vajrajana nicht nur mit Diamant-, sondern auch mit Phallusfahrzeug übersetzen
können und dass Sie in Ihrem Kloster etwas sehr Schlimmes gesehen haben.«
|311| »Woher ...« Patrick durchfuhr ein Schlag. »Was machen Sie überhaupt hier in Nepal?«
Decker zuckte die Achseln. »Das ist eine lange Geschichte. Die kann ich Ihnen bei einem guten Glas Wein erzählen, wenn wir
wieder in Deutschland sind.«
Deutschland. Frankfurt. Der Gedanke schien so fern. Dann sah Patrick sich wieder um. »Was ist das alles hier?«
»Ein Flugzeug. Und im Augenblick Ihr Krankenzimmer.«
»Mit Holztäfelung, Ledersesseln, seidener Bettwäsche und goldenen Türgriffen?«
»Nun ja ...« Decker war etwas verlegen. »Ich fürchte, auch das kann ich Ihnen nicht sagen.«
Patrick merkte, dass Decker es ernst meinte und dachte wieder an letzte Nacht. »Ich fürchte, ich habe Ihnen große Schwierigkeiten
gemacht.«
»Oh, ganz im Gegenteil. Sie haben uns sehr geholfen.«
»Mann, Sie machen es ja geheimnisvoll. Jedenfalls habe ich einen Riesenfehler gemacht.«
»Ich weiß«, seufzte Decker. »Ich auch.«
Dann schaltete sich der Arzt in fließendem Englisch ein: »Sie werden noch einige Tage Ruhe brauchen, junger Mann. Aber Sie
haben es gut überstanden. Noch ein paar Minuten länger da oben, und Sie wären erfroren. Danken Sie Ihrem Retter hier.«
»Ich habe nur einen Fehler wiedergutgemacht«, sagte Decker.
Patrick wusste nicht, was er sagen sollte, um Decker zu danken. »Was ist aus dem Mädchen geworden?«, fragte er stattdessen.
»Ihr geht es den Umständen entsprechend gut. Wir haben sie ins Krankenhaus in Katmandu gebracht, und die |312| Behörden kümmern sich um alles weitere. Sie war übrigens keine Ausnahme.«
»Keine Ausnahme?«, fragte Patrick. »Was soll das heißen?«
»Es gibt genug Frauen, die sich über die sexuellen Exzesse der tibetischen Lamas beklagen, die ihre Abhängigkeit ausnutzen.«
»Oh, nein!« In Patricks Kopf drehte sich alles.
»Hören Sie«, sagte Decker. »Sie brauchen keine Lamas. Sie brauchen auch niemanden, der Ihnen sagt, wie Sie zu leben haben,
und irgendeine Erleuchtung verspricht. Finden Sie Ihren eigenen Weg.« Decker trat etwas näher an Patricks Bett heran und wirkte
fast väterlich. »Schauen Sie doch mal wieder in die Bücher der guten alten europäischen Philosophen. Die haben auch viel über
das Leben, das Leiden und die Flüchtigkeit allen Glücks nachgedacht.«
Patrick rümpfte die Nase. »Soll ich am Ende vielleicht auch noch Ihren blöden Freud lesen?«
Decker lachte. »Warum nicht? Der Junge war gar nicht so schlecht. Immerhin könnten Sie dann nachvollziehen, wo der Hauptfehler
bei der ganzen Arie hier liegt und warum sich die Brüder im Himalaya seit über tausend Jahren die Zähne an der Realität ausbeißen.«
»Ach, tatsächlich?«, sagte Patrick verächtlich. »Und was wäre das Ihrer Meinung nach?«
Decker beugte sich langsam über Patrick, sah ihm fest in die Augen und sagte dann nach einem langen Moment des Schweigens:
»Nicht unser Ego, sondern der tibetische Buddhismus ist eine Illusion.«
|313| »Darf ich die Herren stören?« Li Mai klopfte an die offene Tür, trat ein und sah Patrick an: »Und, wie fühlen Sie sich, junger
Mann?«
Patrick traf erneut der Schlag. Mein Gott, war diese Frau schön!
Decker wird mit ihr in diesem fliegenden Palast sicher jede Nacht ein paar wilde Stunden verbringen. Der Glückliche
.
»Patrick? Willst du nicht antworten?« Decker grinste und schien die sehr männlichen Fantasien des gescheiterten Mönchs zu
erraten. »Ich dachte, Sie wollten drei Jahre ins Zölibat. Aber wie ich sehe, haben Sie ja jetzt schon Entzugserscheinungen.«
»Uff ...«, entglitt es Patrick.
»Nun, ich freue mich, dass es unserem Patienten offenbar wieder gut geht.« Li Mai grinste wohlwollend. »Im übrigen habe ich
jetzt die gewünschte Verbindung nach Rom.«
|314| 21
»In ein paar Minuten haben wir Bild und Ton«, rief Li Mai quer durch die Kabine. Sie hatte ein hartes Stück
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